HABE MUTTER, BRAUCHE VATER - Mallery, S: HABE MUTTER, BRAUCHE VATER
lange wohnt er hier? Einen Monat? Wir hatten vorher nicht einmal miteinander geredet.
Und jetzt kauft er mir plötzlich einen Autoreifen? Was soll der Blödsinn?“
„Ich finde es romantisch.“
Elissa musste sich sehr beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Sie mochte die alte Dame sehr, aber, Himmel, Mrs. Ford würde es wahrscheinlich auch romantisch finden, Gras wachsen zu sehen.
„Er hat einfach über meinen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen. Wer weiß, was er dafür im Gegenzug erwartet.“ Was immer er auch erwartete, er würde es nicht bekommen, sagte sich Elissa.
Mrs. Ford schüttelte den Kopf. „Da liegst du falsch, Elissa. Walker ist ein sehr netter Mann. Ein Ex-Marine. Er hat gesehen, dass du Hilfe brauchst, und er hat geholfen.“
Genau das hatte Elissa am meisten geärgert. Hilfsbedürftig zu sein. Es wäre schön, wenigstens ein einziges Mal etwas für schlechte Zeiten oder einen platten Reifen auf der hohen Kante zu haben.
„Ich will ihm nichts schuldig sein.“
„Du willst niemandem etwas schuldig sein. Du bist eine unabhängige Frau. Aber er ist ein Mann, meine Liebe. Männer helfen Frauen nun mal gern.“
Mrs. Ford war fast neunzig, sehr klein und gehörte zu den Frauen, die noch immer Taschentücher mit Spitzenborte verwendeten. Sie war in einer Zeit aufgewachsen, in der sich Männer um die Mühen des Lebens kümmerten, während man von Frauen hauptsächlich erwartete, dass sie gut kochten und hübsch dabei aussahen. Die Tatsache, dass so ein Leben viele Frauen in den Alkohol oder Wahnsinn getrieben hatte, war nur eine unerfreuliche Randerscheinung, über die die feine Gesellschaft kein Wort verlor.
„Ich habe Randy angerufen“, sagte Elissa, während sie den Teig vorsichtig in die Form legte und am Rand festdrückte. „Er hat mir gesagt, dass der Reifen vierzig Dollar gekostet hat. Aber gutmütig, wie er ist, hat er mich sicher angelogen. Bestimmt hat er fünfzig gekostet.“
Sie hatte genau zweiundsechzig Dollar in ihrer Geldbörse, wovon sie den Großteil für die Lebensmittel brauchte, die sie heute Nachmittag kaufen musste. Auf ihrem Konto war derzeit Ebbe, aber in zwei Tagen würde sie ja ihr Gehalt bekommen.
„Wenn ich mir einen neuen Reifen leisten könnte, hätte ich mir selber einen gekauft“, grummelte sie.
„Es ist jedenfalls ein nützlicheres Geschenk als Blumen“, warf Mrs. Ford ein. „Oder Schokolade.“
Elissa lächelte. „Glaub mir, Walker will nichts von mir.“
„Woher willst du das wissen?“
Elissa war sich ziemlich sicher. Er hatte bloß geholfen, weil … weil … Sie runzelte die Stirn. In Wahrheit wusste sie es nicht. Vielleicht, weil sie bei ihrem Kampf mit den störrischen Radmuttern sein Mitleid erregt hatte.
Sie rollte den zweiten Teig aus. Die Blaubeeren waren lächerlich billig gewesen. Sie hatte kurz am Obststand angehalten, nachdem sie Zoe zur Geburtstagsparty gebracht hatte. Bis sie ihre Tochter wieder abholen musste, hatte sie gerade so viel Zeit, um die Böden für drei Obstkuchen vorzubereiten.
„Ich mache die Kuchen fertig, wenn ich vom Einkaufen zurück bin“, sagte Elissa mehr zu sich selbst als zu ihrer Nachbarin. „Vielleicht sollte ich ihm einen vorbeibringen …“
Mrs. Ford lächelte. „Ausgezeichnete Idee. Stell dir vor, wie beeindruckt er sein wird, wenn er eine Kostprobe deiner Kochkünste bekommt.“
Elissa stöhnte. „Kann es sein, dass du eine ziemliche Kupplerin bist?“
„Eine Frau in deinem Alter so ganz allein? Das ist doch nicht normal.“
„Ich bin gern ein bisschen schrullig. Es hilft mir, am Boden zu bleiben.“
Mrs. Ford schüttelte den Kopf und trank ihren Kaffee aus. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und stand langsam auf. „Ich muss gehen. Auf QVC fängt gleich ‚Schön mit Tova‘ an. Mein Parfum von ‚Tova‘ geht langsam zur Neige, ich muss wieder welches bestellen.“
„Ist in Ordnung, geh ruhig“, sagte Elissa.
Mrs. Ford ging zur Tür, die ihre beiden Wohnungen verband. Dann blieb sie stehen. „Meine Einkaufsliste habe ich dir gegeben, oder?“
Elissa nickte. „Ja, sie ist in meiner Geldbörse. Ich bring dir alles vorbei, wenn ich wieder da bin.“
Die alte Dame lächelte. „Du bist ein gutes Kind, Elissa. Was würde ich bloß ohne dich tun?“
„Und ich erst ohne dich?“
Mrs. Ford ging in ihre eigene Küche und machte die Tür hinter sich zu.
Elissa war anfangs ein wenig verwundert gewesen, dass es eine Verbindungstür zwischen ihrer eigenen Wohnung und der
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