HABE MUTTER, BRAUCHE VATER - Mallery, S: HABE MUTTER, BRAUCHE VATER
auf.
„Ich bin fertig!“, rief sie.
Elissa ging ihr langsam nach. Sie versuchte, sich einen Grund einfallen zu lassen, um Zoe bei sich behalten zu können. Leider fiel ihr nichts ein.
„Hi, Mom“, sagte sie und lächelte.
„Hallo, meine Mädchen.“ Ihre Mutter wandte sich an Zoe. „Bist du fertig?“
„Oh ja. Ich habe alles eingepackt, sogar meinen Schlafteddy.“
„Sehr gut.“
Elissa nahm den kleinen Koffer. Dann stellte sie ihn wieder auf den Boden. „Es ist das erste Mal für sie, dass sie von zu Hause weg ist“, sagte sie. „Sie ist erst fünf.“
„Mach dir keine Sorgen, es wird ihr gefallen. Ich hatte selbst kleine Kinder.“
„Ich weiß, es ist nur, dass …“
Ihre Mutter wartete geduldig, doch Elissa konnte nicht sagen, was es war. Also schüttelte sie den Kopf und trug Zoes Koffer zum Auto.
Die Kleine folgte ihr mit ihrem Bären und setzte ihn vorsichtig auf den Rücksitz. Dann rannte sie zurück zum Haus.
„Ich muss Mrs. Ford noch Auf Wiedersehen sagen!“, rief sie.
„Okay.“ Elissa verschränkte die Arme über der Brust und wartete, bis Zoe im Haus verschwunden war. Dann wandte sie sich an ihre Mutter. „Sie trinkt gern ein Glas Wasser, bevor sie schlafen geht. Kein großes, sonst muss sie in der Nacht aufstehen. Und manchmal isst sie ihr Abendessen nicht auf. Das ist okay so – ich zwinge sie nie, wenn sie nicht mag.“
„Das weiß ich doch alles“, sagte ihre Mutter. „Ich habe es bei dir nicht anders gemacht.“
„Stimmt.“ Elissa gelang es nicht, ihre Angst abzuschütteln. „Hör mal, Mom, ich glaube, es ist zu früh. Zoe ist noch zu klein. Wir müssen ihr mehr Zeit geben, sich an dich zu gewöhnen.“
Die dunklen Augen ihrer Mutter wurden schmal. „Mehr Zeit? Du meinst die Zeit, die ich gehabt hätte, wenn du nach Hause gekommen wärst, als du schwanger warst? Die Zeit, die ich gehabt hätte, wenn du gar nicht erst weggelaufen wärst?“
Elissa wich einen Schritt zurück. „Wie bitte?“
„Ich habe mich wirklich bemüht, Geduld und Verständnis aufzubringen.“ Ihre Mutter klang zutiefst verärgert. „Aber treib es nicht zu weit, Elissa. Meine Belastbarkeit hat ihre Grenzen.“
„ Du bist belastet? Was sollte dich denn bedrücken?“
„Was? Dass meine Tochter beispielsweise acht Jahre lang verschwunden war? Acht Jahre . Wir wussten nicht einmal, ob du noch lebst. Hast du eine Vorstellung davon, wie das für uns war? Hast du eine Vorstellung, wie viele Nächte ich wach gelegen und verzweifelt auf einen Anruf oder irgendeine Nachricht gewartet habe? Und gleichzeitig hatte ich Angst davor, weil ich schon fast damit rechnete, dass man deine Leiche irgendwo fände. Diese Nachricht kam nicht, aber in gewisser Weise war die Ungewissheit noch schlimmer.“
Die Stimme ihrer Mutter überschlug sich fast, so sehr regte es sie auf, darüber zu sprechen. Sie wirkte, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. In diesem Augenblick wäre Elissa auch das egal gewesen. Sie fühlte sich zu Unrecht angegriffen.
„Die ganze Zeit über ist es dir gut gegangen“, fuhr Leslie fort. „Rundherum gut – und doch hast du es nicht für nötig gehalten, es uns mitzuteilen. Weißt du, dass kein einziger Tag vergangen ist, an dem ich nicht an dich gedacht und für dich gebetet habe? Ich habe mich ständig gefragt, wo du sein magst, wie es dir geht und was du wohl gerade machst. Hast du überhaupt eine Ahnung, was du unserer Familie mit deinem unglaublich egoistischen Verhalten angetan hast? Deinem Bruder? Er hatte keine richtige Kindheit. Wir waren so sehr damit beschäftigt, dich zu suchen, dass wir kaum Zeit für ihn hatten.“
„Ich habe angerufen“, sagte Elissa leise, unfähig, sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen.
„Mit einem dreizehnjährigen Jungen zu telefonieren zählt nicht“, schrie ihre Mutter. „Warum hast du nicht mit mir oder deinem Vater geredet? Warum hast du nicht noch einmal angerufen? Weißt du, wie es für uns war, mit deinem Foto zur Polizei zu gehen, Plakate mit der Vermisstenmeldung aufzuhängen und eine Belohnung auszusetzen? Weißt du, dass man uns gesagt hat, du wärst vermutlich tot und wir sollten versuchen, uns damit abzufinden?“
„Ich hätte dir tatsächlich verzeihen können“, fuhr sie fort. „Es hätte etwas gedauert, aber ich hätte dir verziehen. Aber du hast eine Tochter, Elissa. Du weißt, was es bedeutet, ein Kind im Arm zu halten und es zu lieben. Du weißt, wie groß diese Liebe ist und dass sie niemals
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