Hacken
anverwandeln und merken dabei nicht, dass Geschäftspläne etwas mit Geschäftemachen, also mit Geld zu tun haben.
Wenn jedoch die große Krise der jungen Unternehmerinnen und Unternehmer das Voranschreiten des Internet überhaupt behindert hat, dann nur für einen sehr kurzen Moment. Mit der Extrembeschleunigung der Technologieentwicklungen aber, mit der DSL-Verkabelung und den jedes Jahr verdoppelten Prozessorleistungen in den Rechnern bei ALDI, beginnt jene Raserei, derenFortschreiten bald kaum noch zu messen ist. Die Expansion in alle Lebensbereiche, in alle Altersklassen, in alle Gesellschaftsschichten wird zum Merkmal des Internet. Ein Effekt: Das weltweite Netz beginnt tatsächlich, eine eigene Realität auszubilden.
Ich führe nun erste Interviews per E-Mail. Ich höre am liebsten Online-Radio, eine auf Electronica und Beats spezialisierte Station mit dem Namen Dublab.com Sie hat ihren Sitz weder in L.A., noch in San Francisco, sondern irgendwo in der Bay Area. Auch nicht im Silicon Valley: einfach dort, wo ein kleines Studio möglichst wenig Miete kostet. Die Tauschbörse Napster erfreut sich großer Beliebtheit, auch dies ermöglicht durch das Aufkommen der DSL-Kabel. In all dem Trubel wird Berlin endgültig die Zentrale der deutschen Pop- und Entertainment-Industrie.
DAS SCHWIMMEN IN DER SUPPE
Etwas geht unter. Zunächst macht sich der Verlust kaum bemerkbar, doch die Stadt verliert etwas durch den Prozess der Zentralisation. Immer mehr neigt Berlin in diesen Tagen zur Selbstbelustigung und zur Selbstbespiegelung. Ich mittendrin: Ich werde mono. In all den Telefonaten und Skype-Chats und Fahradfahrten ins Maria am Ostbahnhof, all den Ich-lege-im-San-Remo-auf-kommst-duvorbei-E-Mails, da schwingt sie mit, die Bedeutung, die vor allemBehauptung bleibt. Und so rutscht diese Bedeutung an dem vorbei, worum es mir geht in meinem Leben; sie verrutscht, auch wenn sie dabei herrlich rauscht. Verfehlt, so kommt es mir vor, mein Schreiben und meine Musik, mein Schreiben über Musik. Der Professionalismus hält Einzug, ein ganz gewöhnlicher Vorgang, der sich aber in meinem Alltag als Gewohnheit niederschlägt. Zwischen Dreißig und Fünfunddreißig bin ich, habe den von Douglas Coupland schon in seinem Roman
Generation X
konstatierten »Mid-Twenties-Breakdown« gut hinter mich gebracht und mich vom Anfänger zum hauptberuflichen Journalisten weiterentwickelt. Dieser Moment, in dem aus der Passion die Profession wird, verschlingt sich mit dem Allgemeingültigwerden von Berlin.
Jetzt wollen wirklich alle dahin. Nicht nur die aus Hameln und Homburg/Saar, auch die aus New York und Barcelona. Schön, schön, das wirkt wie eine Anerkennung, schau, hast dir die richtige Gegend zum Leben ausgesucht. Wunderbar, toll, toll. Nur hat der Zuzug der Kreativen und Talentierten aus aller Welt zur Folge, dass sich auf einmal die gesamte Popwelt in Berlin abspielt. A Guy Called Gerald und Richie Hawtin leben jetzt hier, Wegbereiter, Helden, Robert Noyces der Clubmusik! Keine Zeitung interessiert sich seit ungefähr dem Jahr 2004 mehr dafür, welche Größe der elektronischen Musik jetzt »auch hierhergezogen« ist, es sind einfach viel zu viele. Diese Art der Berichterstattung verkehrt sich sogar; jetzt gilt es zu berichten, wohin es Halbstars verschlägt wie Gonzales oder Feist. Beide haben sie nach einem Aufenthalt imUmfeld der galerie berlintokyo die Stadt auf dem Weg zum Starruhm verlassen. Das macht die Story, denn diese Reize braucht Berlin jetzt. Von außen kommen wenige Impulse: Niemand mehr muss Berlin verlassen. Ich darf Berlin nicht mehr verlassen. Nie mehr. Ich könnte etwas verpassen.
Ich lebe doch eigentlich einen wahr gewordenen Traum, was will ich denn! Ich singe in einem Chor. Leiterin des Chores ist auch noch die ehemalige Sängerin einer absoluten Lieblingsband von mir, der Lassie Singers. Ich schreibe für Magazine, die für mich von Bedeutung sind, ich schreibe für
Groove
und
Spex.
So sollte das alles doch einmal aussehen. Ich treffe die Leute, deren Musik ich liebe. Im Chor lerne ich sogar einen Menschen voller Großzügigkeit und Witz kennen. Gleichzeitig aber wird alles so mono. In meinem Leben dreht sich alles um Pop, um Kunst und Musik, und alles, was sich um Pop dreht und um Kunst und Musik, das geht nach Berlin. Es ist eine Banalisierung von zwei Seiten, mein Mono-Werden auf der einen, das Mono-Werden der Stadt auf der anderen Seite. Ich schwimme in einer Suppe und kann nicht mehr
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