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Hacken

Hacken

Titel: Hacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Braun
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Jahres 2002 und damit die größte Tonträgerfirma des Landes und der Welt. Zwei Jahre später folgt MTV. Niemand kann zu der Zeit ahnen, dass der Umzug einen Rettungsversuch eines Musiksenders darstellt, dessen Zeit als Impulsgeber der Popkultur mit dem Jahrtausend zu einem Ende gekommen ist. Universal Music ist aus Hamburg gekommen und MTV aus München. Was sich in den Jahren zuvor bereits angedeutet hat, wird mit diesen beiden Neuankömmlingen offenkundig. Nach Jahrzehnten der Verteilung über das Land, über die alte Bundesrepublik – und mit der habe ich als 1970 Geborener zu tun, im Nachhall ihrer Strukturen lebe ich –, nach Jahrzehnten einerdezentralisierten Popkarte bildet sich nun ein Zentrum heraus. Es ist Berlin, die Stadt, in der ich lebe.
     
    Wie im Osten Dresden und Leipzig von Bedeutung gewesen sind, so waren es in der Bundesrepublik neben Berlin die Städte München, Köln und Hamburg. Ihre Bedeutung ist mindestens so groß gewesen wie die von Berlin-West. Vor allem Hamburg und Köln waren je nach Gewichtung nach Musikstilen, nach der Beurteilung von Popmedien und Popgeschäft, wohl die wichtigsten Städte noch vor Berlin. Hamburg hatte Punk und seither eine große, sich selbst organisierende Musikwelt; Köln war gut im Mythenbilden, etwa um die Zeitschrift
Spex
oder das Techno-Label Kompakt. Man kam rum, weil man rumkommen musste, wollte man über das Musikleben des Landes berichten. Schaute man sich halt die Studios bei MTV in München an, unweit des Bundesnachrichtendienstes; führte man halt Interviews in hanseatischen Hotels mit Alster-Blick. Wegen meines Auftraggebers reise ich in diesen ersten Jahren nach der Jahrtausendwende immerhin noch hin und wieder nach Köln. Doch selbst diese Pendelbewegung wird nicht mehr lange andauern. Denn jetzt kommen sie alle nach Berlin.
     
    Noch aber sitze ich an einem Schreibtisch in einem Kreuzberger Gemeinschaftsatelier und sende E-Mails über die neusten Clubs in Mitte rüber an den Rhein. Sie brauchen nicht mehr so lange, ich habe jetzt DSL.
    EIN SCHREIBTISCH IN BERLIN
    Um 2002 geht die Welt neu an den Draht. Das Wuchern und Wachsen der Ethernet-Kabel beginnt. Meine sind selbstgebaut. Und statt dem DDR-Grau der 1990er-Jahre herrschen nun Gelb und Rot und Blau in satten Tönen über die Farblandschaft. Ich beziehe ein Gemeinschaftsatelier. Es liegt abseits der Oranienstraße in Kreuzberg. In den Höfen tummelt sich jenes »kreative Leben«, das Universal und MTV in die Stadt geführt hat. Vorne wird »Berlin, Berlin« gedreht, eine ARD-Soap. Neben uns haben Landschaftsarchitekten Quartier bezogen, und in meinem Büroraum feilt ein Kunstdozent an seinen Vorträgen, sein bester Freund entwirft Comicfiguren für den Kinderkanal. Malerinnen haben sich eingemietet und Illustratoren, ein Konzeptkünstler und eine Programmiererin haben dem ganzen Atelier einen eigenen Server hingestellt. Der Bruch zu meiner Anfangsphase im Internet macht sich sogar akustisch bemerkbar.
     
    Wenn ich meinen Browser öffne, so höre ich nun: nichts. Gerade das ist neu. Rückblickend betrachtet, mutet das Maschinenquäken der 56k-Modems an wie ein Relikt aus jenen Zeiten, da noch Faxe hin- und hergeschickt wurden. Einzig das bedeutsame Rauschen nach dem Einwahlgefiepe bleibt in Erinnerung, ein akustisches Denkmal aus digitaler Prähistoire. Solange der Browser noch für den Bruchteil einer Sekunde eine Seite laden muss, macht es sich bemerkbar, dass beim Rasen durch das Internet so etwas wie Datendurch so etwas wie Kanäle geschickt werden. Der Gedanke mutet jetzt, da er immer noch Teil der Gegenwart ist, archaisch an, wird doch die Allgegenwärtigkeit zum Kennzeichen des Internet.
     
    Der Datenaustausch verstummt. Darin besteht die große digitale Neuerung im Berliner Atelier. Sie gehört indes zu einem Selbstverständlichwerden der digitalen Kommunikation. Keine zehn Jahre vergehen, und das Internet ist nichts mehr, worum großes Aufhebens gemacht wird; eine Parallele in der Technikgeschichte findet sich im mobilen Datenfunk. Auch das Handy wird innerhalb von einem halben Dutzend Jahren vom verpönten Managerspielzeug zum Accessoire für alle. Wenn schon die Farbgestaltung eines Kabels zur Option wird, dann hat die Evolution der digitalen Medien die Insiderkreise, die Zirkel der Robert-Noyce-Nachfahren längst verlassen. Der Knall der Dotcom-Blase hatte seine Ursachen noch in der Verwechslung von Obsession mit Profession: Junge Leute möchten sich einem brandneuen Medium

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