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Hacken

Hacken

Titel: Hacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Braun
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sehen, was in den anderen Universen jenseits der Suppe passiert. Das Außerhalb fehlt.
     
    Mono ist vor allem meine direkte Umgebung. Meine Freunde und Freundinnen, meine Peergroup, mein Milieu. Warum nicht die anderen besuchen, die denkbar Fremden? Die Provinziellen etwa böten mir Beschäftigung. Schließlich gibt es in den Städtennicht nur ein Mehr an Urbanität, sondern ebenso sehr ein Mehr an Provinz! Die Kulturen des denkbar Spießigen wuchern in Steglitz und Pankow doch ebenso, wie sich im Zentrum die Lebensstile außerhalb der Konventionen verdichten. In Frohnau etwa ist die Zeit ungefähr in der Epoche des Wirtschaftswunders stehen geblieben. Die Messinghalterungen der Auslegteppiche in den Treppenhäusern glänzen wie Sonnen, und die Gestaltung der Pärkchen orientiert sich noch an jenen Zeiten, in denen zur Bundesgartenschau aufgebrochen ist, wer sich den Capri-Urlaub nicht leisten konnte. Get a life!, heißt es im Englischen, schau, dass du dein eigenes Leben führst. Genau das ist nicht das Problem, und Milieu-Hopping habe ich auch schon hinter mir, Praktikum beim Jazz-Radio, Schreiben für MTV, denkbar fremde Welten. Das sind ja schon andere Universen gewesen. Martin-Walser-Lesungen besuchen oder Tom-Astor-Konzerte, nein, das wäre zynisch, darin kann nicht meine Zukunft liegen.
    SITZARBEIT
    Ein Formengebirge! Auf meinem Schreibtisch im Kreuzberger Hinterhof stapeln sich Quadrate, Zylinder und Rechtecke. Klebrige Zuckerreste pappen an der Hand, das sind die Hinterlassenschaften der Quadrate. Ich verzehre diese Puffreishappen als Mahlzeit. Zu ihr gehören außerdem die sich aus einem Plastikbecher ergießendeFruchtmilch eines Molkereiriesen sowie Waffeln aus Zucker und Ei. Ich ernähre mich von der industriellen Normgeometrie. Normchemie. Der Supermarkt liegt direkt am Oranienplatz. Am 1. Mai gleicht er eher einem Panzer, so derbe muten die Schutzwälle an, die sich der Betreiber eigens hat anfertigen lassen. Mittags stelle ich mir dort meine Grundversorgung zusammen und am Abend teste ich Dönerbuden auf der Suche nach Spinat-Börek von Weltformat. Bis heute ist der große Imbiss am Anfang des Kottbusser Damms der beste.
     
    So merkwürdig ich mich ernähren mag und so verkommen meine Essgewohnheiten auch sind, Fleisch esse ich nicht. Schon als ich zwanzig Jahre alt war, erklärte ich meinen Verzicht, mehr noch: Ich erklärte – und zumindest mir selbst gegenüber tat ich das in einem feierlichen Ton – meine Abneigung gegen Fleisch. Bis dahin indes war Fleisch – niemand hat es je so schön sloganisiert wie der Hamburger Schriftsteller Heinz Strunk – »mein Gemüse«. Strunk erkundet in diesem Roman das Innenleben einer Show-Band. Als uncool oder besser: unnormal gilt beim Schützenfest-Catering alles, was zu grün ist, Salat, Gemüse, Obst. Ein schönes Schnitzel oder eine gepflegte Roulade, das ist wahres Essen. Meine Großmutter kochte für uns jeden Mittag nach der Schule und jeden Samstag, da gab es Eintöpfe und Suppen. Sie dachte ganz ähnlich wie Strunks Mucker. Hatte sie doch die Nachkriegsjahre erlebt. Das Saarland als Kohle- und Stahlregion wurde von der Knappheit hart getroffen, mein Vater etwa lief mit seinen Geschwisternzu Fuß bis in den Hunsrück, um dort bei den Bauern zu hamstern. Nun, in den 1970er- und 1980er-Jahren, konnte sich meine Oma wieder Fleisch leisten. Der Genuss an dieser Möglichkeit schlug sich im Speiseplan nieder. Fleisch war kein Thema wie heute, da allerorten Ethikdebatten über das Fleischessen stattfinden. Fleisch war einfach da.
     
    Fleisch, Fleisch, Fleisch. Fünfmal die Woche gab es Fleisch. In dieser Aufzählung tauchen die Würstchen und das Dörrfleisch in den Linsen- und Kartoffelsuppen nicht auf. Sie galten als Suppenbeilage, nicht als Fleisch. Einem befreundeten Musiker tischte man in Bayern eine Pizza auf, großzügig bestückt mit Salamischeiben. Bestellt hatte er »einmal vegetarisch«. Seine Verwunderung verstand man nicht. »Salami ist doch kein Fleisch!« So hätte Großmutter das auch gesehen. Noch dazu betrieb meine Tante eine Metzgerei im Ort. Wenn es etwas zu feiern gab in der so großen, so katholischen Familie, dann wurde erst recht aufgefahren. Auf den Tisch kamen Bratwürstchen, Lyoner, Eisbein, Saumagen, Kohlrouladen, Schwenkbraten, Cordon bleu, Sülze, Blutwurst, Kalbsleber, Kotelett, Wiener Schnitzel, Brathähnchen, und an den Geburtstagen im Metzgershaus gab es Rehrücken und Wildschweinkeulen.
     
    Ich liebte Fleisch. Bis ich

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