Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Amerika anlandet, empfindet sich von Stund an als ein Auserwählter, mögen noch so viele Löcher in seinen Schuhen und Kleidern klaffen. Wie von einem heiligen Glanze umgeben, wirken diese Unerschrockenen, und was der Geschichte, die sie von nun an selber in ihren Briefen fortspinnen, an Wahrheit fehlt, das fügen zu Hause deren Empfänger hinzu: Ame-ri-ka! – – – –
Zu den eigentlichen Häfen der Vereinigten Staaten waren die sogenannten Frontstädte geworden. Als solche bezeichnete man jene am schnellsten und am weitesten in die Wildnis vorgeschobenen Orte, die in ihrem kaum glaubhaft schnellen Wachsen von ein paar Blockhäusern zur Siedlung und von da an zur Stadt ungeheure Mengen an Menschen und Material anzogen.
Ich selbst war erst vor einigen Monaten, geradewegs aus dem Orient kommend, in das Land zurückgekehrt. Nun befand ich mich, nach einer Zeit fleißigen Schreibens in verschiedenen Städten entlang der Ostküste, auf dem Wege zu eben einer solchen Frontstadt. Vorausschicken muß ich, daß man vielerorts meinen zivilen Namen als Reiseschriftsteller schon kannte, unter welchem ich, des Broterwerbs halber, für gewöhnlich in Erscheinung zu treten pflegte. Warum ich es mir nicht leichter machte und meine Berichte nicht mit meinem sehr viel bekannteren, ja berühmten Westnamen, nämlich Old Shatterhand, zeichnete, was mir gewiß besseres Salär eingetragen hätte?
Lieber Leser, von jeher und mit Vorbedacht trage ich Sorge dafür, mir ein gewisses Geheimnis zu bewahren. Heutzutage, da der »singende Draht«, der Telegraph, alles mögliche an die Öffentlichkeit trägt, da ist dies letzte Gärtchen namens Privatheit der kostbarste Ort, den ein Mensch unserer Zeit überhaupt haben kann. Ich will nicht, daß ein jeder alles von mir weiß. Der Schriftsteller
tut sich da leicht, ich gebe es zu. Als letzten Klecks unter sein Geschriebenes setzt er einen Namen, welcher immer ihm behagt. Wichtig ist allein, daß die ihm dafür gezahlten Geldscheine nicht in dem gleichen Gedanken gefertigt wurden. Nochmals betone ich, daß es mir dabei nicht um Geheimniskrämerei zu tun ist, nein. Ganz für sich sein zu können, obwohl man, durch seine Schriften, mit Zigtausenden sozusagen korrespondiert, das ist die wahre Freiheit, dies will ich gewahrt wissen. Womöglich wird, wer sich heute mit seinem guten Namen verschwendet, eines Tages genauso denken, ja meiner Überzeugung nach wird man spätestens in einhundert Jahren gelernt haben, wie wichtig die sprichwörtliche eigene Tür ist, hinter der gefälligst ein jeder selbst kehre. Es besteht für mich kein Zweifel, daß in folgenden Generationen jedem Individuum aufgehen wird, wie kostbar doch das Mysterium der ebenfalls sprichwörtlichen eigenen vier Wände ist.
Denn für mich, den damals ständig Reisenden, konnte es keine größere Sicherheit geben, als mich in persönlichen Dingen bedeckt zu halten. Ein so bekannter – ich darf auch sagen: beliebter – Westmann wie Old Shatterhand zu sein, das bedeutete eben auch, allerorten in Anspruch genommen zu werden. Als eine solche Figur findet man sich allzubald vereinnahmt. Pflichten werden an einen herangetragen, welchen man sich kaum entziehen kann, will man nicht als unhöflich gelten; Kleinkinder sollen geherzt, Veranstaltungen eröffnet werden. Jeden noch so hanebüchenen Anlaß muß der eigene Name überstrahlen. Irgendwann stellt man fest, nicht mehr Herr seiner Zeit zu sein. Der Leib schwillt einem, der Kamm auch, denn von allen Seiten kriegt man Löffel in den Mund gestopft. Der Kopf aber wird leer, denn über welche Nichtigkeiten bei derlei Gesellschaften geplappert wird, dies darzulegen erspare ich mir und dem Leser.
Dennoch – hätte ich geahnt, welche Folgen mein schriftstellerisches und westmännisches Doppelleben zeitigen würde, ich schwöre, ich hätte nicht gezögert, mir einen ganzen Strauß von Identitäten zuzulegen. Lieber wäre ich als ein Jakob Gustav Liebfrömmli
aus Helvetien einhergegangen oder als ein Capitain Ramon Diaz de la Obscura, vielleicht auch de la Escosura, jedenfalls als ein weitgereister Spanier, dem man lieber nicht zu nahe kam. Oder ich wäre in Erscheinung getreten als ein Prinz Muhamêl Latréaumont, was nicht nur anmutig klingt, sondern auch den Vorteil aristokratischer Distanz böte, die gern eine bürgerliche sein darf, so man sie nur allseits respektiert.
Aber das sind Phantasien. Das wenigste, was uns im Leben widerfährt, erahnen wir, nichts von dem, womit das
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