Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Schicksal uns prüft, können wir im vornherein wissen. Zum Zeitpunkt des hier Erzählten war ich noch nicht dreißig Jahre alt und fühlte mich doch – spätjugendlicher Überschwang! – auf dem Gipfel meiner Kräfte und Möglichkeiten. Was hätte ich Dunkles ahnen, wie wissen sollen, welche erschütternden Begegnungen mir bevorstanden?
Der Leser mag mir nachsehen, daß meine Vorrede gar so ausgreifend gerät; allein er wird feststellen, daß diese Warnung ihre Berechtigung hat.
Ich war also zurückgekehrt in den Westen, und keineswegs als ein Jakob oder Ramon oder Muhamêl. Kaum einer, der als Vornamen einen gewissen Karl unter meinen Artikeln wahrgenommen hatte, konnte daraus ersehen, daß ich in Wirklichkeit ein viel gewisserer »Scharlih« war, wie jemals nur mein über alles geliebter Winnetou mich nennen durfte. Und selbst wenn – beileibe nicht unter diesem Kosenamen war ich bekannt, sondern als Old Shatterhand, ein Name, der für Taten stand, welchen mein literarisches Ich kaum jemals gleichkommen konnte. Es versteht sich abermals von selbst, daß ich sehr darauf zu achten hatte, meine schriftstellerischen Spuren sorgfältig zu verwischen, wollte ich den Leitern der zahlreichen deutschen Blätter im Osten wie im Westen als ein ernsthafter Berichterstatter gelten und nicht für einen Lügenbold. Zwar liebt der Amerikaner das Prahlen und stürzt sich geradezu auf jede gedruckte Übertreibung , Erlebnisse aber, wie ich sie schon damals zu reportieren hatte, tarnte ich lieber als eine Art Märchen. Man wird nicht gern als ein Aufschneider wahrgenommen,
obwohl man nichts anderes tut, als die Wahrheit zu sagen, diese vielmehr noch in einfachste, bescheidenste Worte zu kleiden.
Warum ich aber, anstatt den Westen in knalligsten Farben zu beschreiben, den Geldschneidern allenthalben nicht ins Gewissen redete oder vielmehr schrieb? Ich muß gestehen: Zum Politikus tauge ich nicht. Hätte ich etwa unseren vor ein, zwei Generationen herübergekommenen Landsleuten oder auch den Österreichern, Holländern und Dutzenden anderen mitteilen sollen, sie seien gar keine Amerikaner, um solche handle es sich ausschließlich bei den bald gänzlich ausgerotteten Indianern, also den Ureinwohnern und somit wahren Eigentümern des Kontinents, ihres Kontinents? Unverzüglich hätte man mich geteert und gefedert, wenn nicht gelyncht. Den »Pionieren« des Westens galten die Indianer nicht als gleichwertig; höchstens als ein Zwischending aus Mensch und Tier wurden und werden sie immer noch betrachtet und halbwegs höflich als »Indsmen« bezeichnet. Aus allen diesen Gründen zog ich es vor, in der Neuen Welt weiterhin als Schreiber und nicht als Westmann Eindruck zu machen. Was ich in den Blättern, für die ich korrespondierte, mitzuteilen hatte, half mir beim Überleben; gewiß, was Old Shatterhand zu sagen gehabt hätte, würde mich reich gemacht haben. Dann aber wäre es um das schöne Wort Bewegungsfreiheit geschehen gewesen; keiner von uns hätte sich mehr frei in den Territorien tummeln können, und nichts lag »uns« ferner.
Das erwähnte Cheyenne war eine junge Frontstadt im damals erst wenige Jahre alten Wyoming-Territorium. Dieses indianische Wort steht für »Große Ebenen«; »Great Plains« nennt sie der Amerikaner, am bekanntesten ist der Begriff Prärie. Nach Cheyenne also war ich gekommen, um mich mit dem Leiter einer Expedition bekannt zu machen, welche von dort nach den Rocky Mountains beziehungsweise dem Yellowstone-See abgehen sollte. Noch war schönster heißer August, und doch war es für einen Erkundungszug bedeutender Größe schon spät im Jahr, berücksichtigte man, daß in den Rockies der Winter oft schon im September Einzug
hielt. Aber auch so ist der neue amerikanische Mensch ein immer umtriebiges, auf schnelle Ergebnisse erpichtes Wesen; hat er Zeit und Gelegenheit versäumt, so drängt es ihn um so mehr, dies Versäumnis wiedergutzumachen, was immer dafür an Widrigkeiten in Kauf zu nehmen ist. Dabei entwickelt er einen geradezu sportlichen Ehrgeiz, um sich selbst zu übertreffen, und wendet den Blick höchst ungern nach links und rechts, wo zuhauf Gefahren lauern.
Henry Dana Washburn stammte aus Montana und war dort oberster Surveyor 36 und Generalinspektor. Einer von ihm geführten Expedition sollte ich mich anschließen. Mir, der ich mich ungern verdinge, war die Rolle eines Beobachters zugedacht. Man betrachtete mich als Reporter, sogar einen leidlich namhaften. In dem Bureau in Washington,
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