Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Dach aus rohem, nur verleimtem Holze ermöglichten dies. Auch der Hausrat – wenige wirkliche Möbel, viel grobes, billiges Zeug – ließ sich kurzerhand auf eine Wagenpritsche oder einen Waggon laden. Ganze Siedlungen wurden so immer weiter nach vorn verlagert, oft binnen Tagen. Entsprechend ambulant war die ganze Lebensart der Menschen, die in diesen Häusern wohnten; ein fleißiger, Entbehrungen gewohnter Schlag, mit der Waffe so schnell bei der Hand wie mit der Bibel. Doch über die lästige Frömmelei in den Weststädten habe ich schon in anderen meiner Schriften berichtet.
Wer glaubt, in einer solch hingepflanzten Stadt reihte sich Kolonialwarenladen an Kolonialwarenladen, Hufschmied an Hufschmied und Kneipe an Kneipe, der irrt. Komfort und Luxus
folgen dem Menschen überallhin, oder er schafft ihn sich herbei, noch in die entlegenste Ödnis. So gab es bereits in Cheyenne, kaum daß der Name überhaupt auf dem Fahrplane erschien, die tüchtigsten Schneider, Hutmacher und Schuster, auch Wäsche-, Bekleidungs- und Aussteuergeschäfte; es waren Tuchhändler ansässig geworden, ebenso Spezialisten für Brüsseler Spitzen, selbstverständlich auch Bäcker, Chocolatiers und Konditoren; es etablierten sich Wein- und Sekthändler, Spezialisten für Geschmeide, auch Banken und Pfandleiher und Wucherer, gerade diese. Sie alle nährten und labten und mästeten sich an Durchreisenden und Einwohnern.
Im genau bemessenen Abstand von 60 Fuß gab es Gaslaternen, die unserer europäischen Straßenbeleuchtung in nichts nachstanden, und natürlich Verwaltung, Polizei und Gerichtsbarkeit. Der Durchzug von Menschen der unterschiedlichsten Art hatte dem Lande auch eine nie gekannte Freiheit der Taten und Gedanken beschert. Während man erstere vor allem in Form von unternehmerischen Werken kennt, beispielsweise vom Bau des Telegraphen- und Eisenbahnnetzes, ist letztere dem demokratisch-republikanischen Streben des Amerikaners von Vorteil gewesen. Für Wyoming ist zu sagen, daß hier das Wahlrecht für Frauen schon seit 1869 besteht, wo doch wir, im fortschrittlich geglaubten Europa, uns immer noch dem Willen von Majestäten beugen.
Man tat aber zu jener Zeit gut daran, sich nicht gleich im erstbesten »Hotel« einzuquartieren, sondern rechtzeitig Empfehlungen auf ein schlichtes, redlich betriebenes Gasthaus einzuholen, am besten ein deutsches. Noch auf der Eisenbahn hatte ich Erkundigungen eingezogen, und gleich mehrfach war mir ein Landsmann ans Herz gelegt worden. Es handelte sich um einen kinderlosen Witwer und Gastronomen namens Ewald Pfäffle, welcher, aus Stuttgart stammend, auf genug Biederkeit hoffen ließ, wie sie für gewöhnlich auch in der Fremde mit Ordnung und Sauberkeit einherzugehen pflegt. Daß kein Yankee den schwäbischen Namen »Pfäffle« richtig auszusprechen vermochte und man ihn
deshalb zu »Mister Faffle« vereinfachte, ließ mich zusätzlich hoffen. Bewunderung nämlich schwang in der Art, wie ich dies »Faffle« ein jedes Mal sagen hörte. Wer in diesem Maße die Achtung von Reisenden besaß, der mußte schon jemand sein. So war ich gespannt auf das »Boarding House«, als welches man mir seine Lokalität bezeichnet hatte, denn von einer Schenke oder einem Wirtshause oder einer Pension zu reden konnte »echten« Amerikanern noch viel weniger einfallen.
Wie es so geht im Leben, fügte sich eines zum andern, als ich auch noch erfuhr, daß bei »Faffle« schon seit einigen Tagen ein Mister Washburn mit seiner Gesellschaft verkehre: es stand sogar in der Zeitung, groß aufgemacht! Schon immer und beileibe nicht nur im Westen Amerikas war es Sitte, sich vor Beginn einer größeren Fahrt erst einmal gehörig zu stärken, was in den meisten Fällen nur einen übermäßigen Gebrauch, wenn nicht Mißbrauch von Alkohol bedeutete. Nie habe ich verstanden, weshalb es sich mit einem schwergetrunkenen Kopfe besser reiten sollte als mit einem »leichten«, aber die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Washburns geheim geglaubte Expedition sprach sich also um, und zwar in einem solchen Maße, daß man in meinem Zugabteil gar ein Hoch auf ihn ausbrachte. Kaum an dem nur angedeuteten Bahnhof in Cheyenne angelangt, sprang ich vom Wagen, winkte mir zwei chinesische Kulis herbei und bedeutete ihnen, mein Gepäck nach besagtem Boarding House zu schaffen.
Mir selbst war nach dem vielen Geschüttel nach einem Fußmarsch zumute.
In meinem neuen, noch makellosen Reiseanzuge sowie dem dazu passenden Hute schritt ich
Weitere Kostenlose Bücher