Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
ließ.
Der Wirt des Ladens hatte ein Loch im Hals: Kehlkopf-Operation, nichts zu machen, alles weg. Das hinderte ihn aber nicht daran, mich, die anderen Gäste, Gott und den Rest aller Lebensformen auf Kohlenstoffbasis aufs F insterste zu b e schimpfen.
Um seine Stimme elektronisch zu verstärken, bediente er sich eines kleinen Mikrophons, da s er an den Satinlappen hielt, der über dem Loch schlabberte und nicht besonders zu seinen dicken Karohemden pa ss te. Ich hatte immer den Eindruck, er habe sich in schelmischer Absicht ein Bose Surround-System an das Teil angeschlossen, denn wenn man nichts B öses dachte und nur so da saß, kam seine Stimme über einen wie die A r dennenoffensive. Das Unheil kündigte sich zumeist über eine kreischende Rückkopplung an.
Schriiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeäääääääääääääääääk!
»HrrrrsssssssDrecksaurrrrrhhhsssddd … NimmdieFingervo m BillardtischhhhrrrddssPenner.«
Der Betroffene zuckte dann meistens zusammen, lief rot an und blickte nach unten, als hätte ihn der Papst persönlich beim O nanieren erwischt.
Niemand lachte, denn man selbst konnte der N ächste sein.
Wenn jemand von der Toilette kam, ertönte regel mäßig ein Darth - Vader- artiges :
Schriiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeäääääääääääääääääk!
»Hrrrrrssssdd HastdunachdemKackenhrrrrrrrddddWenigstens abgezogendualteSau?Hrrrrd.«
Außerdem gab’s da einen Kiss-Flipper, der zwar gern Geld nahm, aber nie eine Kugel ins Spiel brachte. Wer reklamierte, wurde mit dem üblichen akustischen Stahlgewitter überzogen und durfte verschwinden.
Erwin ging trotzdem ganz gern hin.
»Und? Was meinst du mit angemacht ?«
Erwin lachte dreckig.
»Na. Sie rollte rein und fragte, ob sie das Klo benutzen dürfe, und dann … nun … «
Nein , i ch hakte nicht nach.
» … hab ich gesagt, klar, Kleines. Sie roch so geil nach die sem … diesem … «
Onkel Erwin schnippte mit den Fingern. Da ihm diese fehlten, geschah dies allerdings vollkommen lautlos.
»Kölnisch Wasser«, sagte ich dumpf.
»Hättest du doch auch getan, oder?«
Beantworten Sie ihm keine persönlichen Fragen.
Ich schwieg eine dunkelgraue Wolke.
» U nd dann hatten wir diese technische Unpässlichkeit.«
In der Wolke meines Schweigens donnerte es verhalten.
Erwin machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Jedenfalls stürzte ich auf die Lady, blieb mit der Uhr an ihrem Haarnetz hängen und riss ihren Rollstuhl um. Polenwerner kam mir zu Hilfe, stolperte aber über eines ihrer Räder und riss diesen Pinnorek von seinem künstlichen Darmausgang ab und machte die menschliche Fontäne. Die Süße knallte mit dem Kopf gegen die Musikbox, und die fing an »Weil du ein zärtl i cher Mann bist« von Hanne Haller zu spielen. Und dann wurde der Wirt sauer.«
Das Kino in meinem Schädel begann, ungefragt bizarre Bilder an meine Hirnrinde zu werfen.
Ich sah ein abstoßendes Getümmel faltigen Fleisches und roch den verblassenden Duft von 4711, der gleich darauf von P o lenwerners Spezialpunsch überlagert wurde.
Ich dachte an Erwins klumpige Flossen, die halb im was-weiß- ich einer alten Dame versanken, die nur rasch austreten wollte; ich vernahm ihr Gekreische und dann den Robotersound des Wirts, der nichts mit Hanne Haller anzufangen wusste, von unwürdigen, körpersaftschwangeren Tumulten neben der Kl o tür ganz zu schweigen.
»Und nun?« Meine Stimme klang, als wäre ich durch Gottes Saftpresse gerutscht.
Ich erinnerte mich an den Ausspruch eines berühmten Mannes, der aber nicht so berühmt gewesen sein kann, denn sein Name ist mir e ntfallen:
Natürlich geht ein Kamel durchs Nadelöhr – man muss es nur pürieren.
»Ich brauch zweihundert Euro « , murmelte Erwin. »U m hier raus zu kommen. Geldstrafe.«
In meiner Wattejacke trug ich knapp vierhundert mit mir.
»Klasse, Junge!« Er sprang auf mich zu, langte durch die Eise n stäbe und griff sich das Geld.
Dann fuhr er mit seiner Hand über mein Gesicht und kniff in meine Wange.
»Danke, Junge.«
Es war die rechte Hand gewesen.
Erwins feuchte, böse Sack-Hand.
Sie kennen ihn. Trotzdem: Bleiben Sie von den Gittern weg.
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