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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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frei!«
    »Nein, niemals. Ein Sohn gehört zu seiner Mutter, nichts auf der Welt kann sie trennen. Nur der Tod kann dieses Band zerschneiden.«
    »Schon wieder sprichst du vom Tod. Hast du noch nicht genug angerichtet? Kannst du nicht endlich verstehen, dass jenes Band schon vor langer, langer Zeit durchtrennt wurde?«
    »Hans, mein lieber, kleiner Hans, du weißt nicht, was du sprichst. Hab ich dich in den letzten Wochen nicht spüren lassen, wie stark dieses Band noch ist? Ich habe dich doch besucht, tief in deinem Inneren. Hast du mich nicht gespürt? O doch, das hast du! Warum sonst hast du nicht geschossen in jener Nacht?«
    »Du warst das? Du warst in meinem Kopf und hast durch meine Augen geschaut?«

    »Ja!«
    »Und der Riese? Bist du auch der Riese, der mich immer und immer wieder in meinen Träumen heimgesucht hat?«
    »Ich weiß nichts von einem Riesen. Was soll das Geschwätz? Bleibe bei mir, Hänschen klein. Lass uns zusammen fortgehen. Wir können ein neues Leben beginnen. Nur wir beide! Wie damals in unserem Haus im Wald.«
    »Unser Haus im Wald? Ja, ich erinnere mich. Mein Zimmer … die Bausteine auf dem Teppich … die Spieluhr … so viel Licht plötzlich und diese grausigen Geräusche … der Riese, es ist der Riese mit seinem Feueratem …«
    »Hans, was redest du da?«
    »Sein Feueratem ist in meinem Körper, er verbrennt mich. Der Riese hat mich von dir fortgeholt, weil er mich vor dir beschützen wollte. Er hat es damals geschafft und wird es heute wieder schaffen.«
    »Hans! Komm zu mir, hörst du! Komm sofort zu mir!«
    »Nur der Tod kann das Band zerschneiden. Das waren deine Worte. Also soll es so sein.«
    »Haaaaaaaaaaaaaaaaaaans!«
     
    Ein langer, entsetzlicher Schrei, der bis weit ins Tal hinunter drang. Ein unmenschlicher Schrei, und doch von einem Menschen ausgestoßen. Für Saskia war er wie ein Startsignal, nichts hielt sie mehr in ihrem Versteck hinter der Scheune. Die Plattschaufel fest umklammert rannte sie über den matschigen Hof. Vor den Stufen zum Eingang rutschte sie aus, fiel auf den Bauch und rutschte mit dem Gesicht voran durch den Dreck. Matsch drang ihr in Mund und Nase. Prustend und spuckend drehte sie sich auf den Rücken, wischte sich den Dreck aus den Augen. Halb blind tastete sie nach der Schaufel, fand sie, packte den Stiel und
kämpfte sich auf allen vieren die Stufen hinauf zur immer noch offen stehenden Eingangstür. Hockend, mit vor Dreck starrendem Gesicht und trübem Blick starrte sie in die Diele.
    Saskia konnte nicht glauben, was sie dort sah.
    Die riesige Ellie Brock hockte auf den Knien über Sebastian gebeugt. Das Gewehr lag neben ihr auf dem Boden. Ihr Rücken blähte sich unter einem gewaltigen Atemzug auf, dann senkte sie sich nieder, presste ihren Mund auf Sebastians und atmete kräftig aus. Saskia verstand zuerst nicht, was sie dort sah. Aber noch während sie aufstand und einen Schritt in die Diele machte, wurde es ihr klar.
    Wiederbelebung! Das waren Wiederbelebungsversuche!
    Ellie Brock beatmete ihren Sohn, setzte jetzt sogar zur Herzmassage an. Sie legte ihre großen Hände auf Sebastians Brustkorb, wollte gerade zu drücken beginnen, da bemerkte sie Saskia. Ruckartig drehte sie den Kopf und starrte sie an. Nichts mehr an diesem Blick war gefährlich. Ihre Augen waren rot gerändert, panisch weit aufgerissen, Verzweiflung war darin zu sehen, Tränen liefen ihr über die feisten Wangen.
    »Er stirbt«, sagte sie, »mein Kind stirbt!«
    Unendlich viel Schmerz lag in diesen Worten und in diesem Blick, so wie es bei jeder anderen Mutter auch gewesen wäre. Dort hockte keine Verrückte, nur eine Frau, die ihr geliebtes Kind verlor. Saskia musste sich vergegenwärtigen, was diese Frau ihr und Sebastian angetan hatte, was sie Stefanie angetan hatte, um nicht den Blick für die Realität zu verlieren. Mitleid kam in ihr auf, und das wollte, das durfte sie nicht zulassen. Sie würde sterben, wenn sie es zuließ.
    Ob es Wunschdenken war oder Wirklichkeit, wusste Saskia
nicht, aber als Ellie Brock ihre Hand bewegte, vielleicht nur, um mit der Beatmung fortzufahren, meinte sie, sie nach dem Gewehr greifen zu sehen. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, lief sie über die Diele, hob dabei die Plattschaufel hoch über den Kopf, stieß einen gellenden Schrei aus und schlug zu, als sie nah genug heran war.
    Ellie Brock versuchte nicht einmal auszuweichen. Sie starrte dem Schaufelblatt entgegen. Das Geräusch klang dumpf und hohl. Durch den Stiel übertragen

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