Admiral
Admiral
Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass es ein Fehler war, aber sie hatte ihren Job verloren, sie brauchte das Geld, und ihre Erinnerungen an die Strikers waren insgesamt eigentlich positiv, und darum hatte sie, als Mrs. Striker angerufen hatte – Hallo, hier ist Gretchen … Mrs. Striker –, gesagt, ja, sie werde gern vorbeikommen und sich ihren Vorschlag anhören. Vorher, auf dem Weg durch die Stadt, musste sie sich allerdings das Husten und Stottern ihres Wagens anhören (Benzinpumpe, lautete das Urteil ihres Vaters, gesprochen in jenem ausdruckslosen Ton, der sagte, das sei nicht sein Problem, jetzt nicht mehr, nicht, seit sie erwachsen sei und nach dem gescheiterten Versuch, auf eigenen Beinen zu stehen, wieder bei ihnen wohne), und als sie in die Straße einbog, in der die Strikers wohnten, hätte sie beinahe den Motor abgewürgt. Und dann würgte sie ihn tatsächlich ab, als sie, gegen jede vernünftige Aussicht auf Erfolg, versuchte, vor dem riesigen, festungsartig aufragenden Haus einzuparken. Es war ein seltsames Gefühl, am Tor den Code einzugeben und zu sehen, wie unverändert und doch anders alles aussah, wie die Bäume gewachsen waren, während die Blumenbeete wie eingefroren wirkten: Alles blühte immerfort und war millimetergenau zurechtgestutzt, dafür sorgten die Gärtner. Ein ganzes Bataillon schwärmte zweimal die Woche mit Scheren, Laubbläsern und Rasenmähern aus, in einem endlosen Krieg gegen Unkraut, Insekten, Erd- und Eichhörnchen und das hartnäckige Bestreben der Zierpflanzen, ihren Kästen zu entwachsen. So jedenfalls hatte sie es in Erinnerung. Die Gärtner. Und wie Admiral an den Fenstern getobt hatte, wie er die Zähne gefletscht und mit den Krallen gekratzt hatte. Wenn er sich durch das Glas hätte beißen können, hätte er es getan. »Genau, mein Junge«, hatte sie gesagt, »genau – lass nicht zu, dass diese bösen Männer dein Laub und deine Erde klauen. Zeig’s ihnen, Admiral, zeig’s ihnen.«
Sie läutete an der Haustür, die nicht von Mrs. Striker geöffnet wurde, sondern von einer anderen Version ihrer selbst mit einer weißen Dienstmädchenschürze und einer kleinen weißen Dienstmädchenhaube, und sie war so überrascht, dass sie beinahe die Handtasche hätte fallenlassen. Eine schwarze Frau geht nicht putzen , hatte ihre Mutter immer gesagt. Es war in ihrer Jugend eine Art Mantra gewesen, mit dem grundlegende Werte bekräftigt und die Bedeutung von Bildung und geistiger Betätigung betont wurden, doch jetzt fragte sie sich unwillkürlich, wie weit eine Hundesitterin auf der sozioökonomischen Skala über einem Dienstmädchen stand. Oder über Sous-Chefin, Kellnerin, Aerobiclehrerin, Kartenabreißerin und Tortillabäckerin – das alles war sie irgendwann schon einmal gewesen. Blutegel zu sammeln war so ziemlich das einzige, was sie noch nicht versucht hatte. In ihrem College-Lehrbuch über englische Literatur stand ein Gedicht über dieses Thema von William Wordsworth, dem Dichter der Blutegel und Narzissen – wenn sie was zu lachen haben wollte, konnte sie es sich immer noch aufsagen. Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild eines alten weißen Mannes mit einer langen Nase, der die Hosenbeine hochkrempelte und ins trübe Wasser stakste, und dann rang sie sich ein winziges Lächeln ab und sagte: »Hallo, ich bin Nisha. Ich möchte zu Mrs. Striker. Und Mr. Striker.«
Das Dienstmädchen – es war nicht viel älter als Nisha, mit einem sanften Gesicht, das man als selbstzufrieden oder vielleicht einfach ausdruckslos hätte bezeichnen können – hielt die Tür auf. »Ich werde ihnen sagen, dass Sie da sind.«
Nisha murmelte einen Dank, trat in die geflieste Eingangshalle und dachte an die Gehirne von Schlangen und die olfaktorischen Erinnerungen, die darin gespeichert waren. Der Geruch nach Hund – nach Admiral – war unterlegt mit dem von alten Socken und Möbelpolitur. Der große Raum erschien ihr wie ein Stück einer hierher transportierten Kathedrale. Es war ein kalter, leerer, widerhallender Raum, den sie nie besonders gemocht hatte. »Kann ich im Wohnzimmer warten?« fragte sie.
Das Dienstmädchen – oder vielmehr das Mädchen, die junge Frau in dem erniedrigenden stereotypen Dienstmädchenaufzug – war bereits unterwegs zur Küche, blieb aber unvermittelt stehen und sah sie überrascht und irritiert an. Für einen Augenblick schien es, als wollte sie Nisha anfahren, doch dann zuckte sie die Schultern und sagte: »Wenn Sie wollen.«
In dem
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