Haeppchenweise
ohne mich umdrehen zu müssen.
„Wie oft habe ich dir gesagt, dass du dich nicht anschleichen sollst, Julia?“
„Du solltest die Milch pur trinken. Wäre besser für dich.“ Kichernd nimmt Julia den Milchschäumer aus meiner Hand.
„Solltest DU nicht im Büro sein, Schneckenvögelchen?“
„Verlängerte Mittagspause. Hier kann ich mich wenigstens nützlich machen. Und den hübschen Barkeeper anflirten ...“ Sie errötet tatsächlich, als Sascha zurückwinkt. Schnell schiebt Julia meine Kaffeetasse beiseite und reicht mir ihr randvolles Milchglas.
„Hat das Krankenhaus schon angerufen?“
„Frag nicht.“ Meine Hand beginnt zu zittern, also stelle ich rasch das Glas auf die Ablage.
„Soll ich dir helfen? Du siehst ziemlich gestresst aus.“
„In deiner Freizeit hast du bestimmt Besseres zu tun, als dich von einer kopflosen Kochbuchladenbesitzerin durch die Regale scheuchen zu lassen.“ Ich mache eine abwehrende Geste, doch Julia eilt bereits zu den neuen Gästen am Ecktisch, begrüßt Linda Meininger-Hennemann und hievt das Baby aus dem Buggy.
Ich belasse es lieber bei einem Gruß aus sicherer Entfernung. Die Frau meines ehemaligen Chefs schleppt neuerdings sämtliche Freundinnen aus ihrer Krabbelgruppe an, was mein Unternehmerherz zwar erfreut, mir persönlich aber eher unheimlich ist. So goldig ich Mariele finde, ich befürchte ständig, etwas falsch zu machen. Julia dagegen ist total vernarrt in den Säugling. Und offenbar resistent gegen Babyspucke.
Verstohlen kippe ich die Hälfte von Julias Milch in meinen Kaffee und leere den Rest in den Ausguss, ehe ich mich durch den Hintereingang verdrücke – für eine erholsame Zigarettenlänge in Gesellschaft von Hund, der mir seit Julius´ Unfall nicht mehr von der Wade weicht.
Natürlich erwischt mich draußen der Postbote. Ich glaube, er fährt so lange Extrarunden, bis er mich persönlich antrifft. Zu meinem Bedauern ist es für einen Rückzug zu spät und der Pflanzkübel am Eingang bietet mit seinem blattarmen Strauch nur ein kümmerliches Versteck. Ich winke lustlos zurück, was ihn dermaßen begeistert, dass er sein Fahrrad in die Straßenbahnrille steuert.
„Huhu, Fräulein Lehner!“
Er bleibt in respektvollem Abstand stehen und schielt zu Hund, der ein leises Grollen von sich gibt. Sogar Helga hat er vorhin angekläfft, ein unkluger Schachzug, da sie sein Futter verwaltet. Der Postbote wühlt in seiner Fahrradtasche und fördert ein paar Briefe und das Wochenblatt zu Tage.
„Post für Sie ...“ Schüchtern wedelt er mit dem Packen in der Luft. Hund knurrt lauter, der junge Mann zuckt zusammen. Ich grinse unwillkürlich.
„Platz und Bleib.“ Ich schlendere über die Straße, während Hund sich gehorsam niederlegt. Zartes Rosa erblüht auf den Postbotenbacken. Seine Hände erschauern, als er mir den Briefstapel übergibt, dabei berühre ich ihn nicht mal.
„Ein erquicklicher Tag ist das heute!“
Erquicklich? Ich beiße mir auf die Unterlippe. Mit den daumendicken Brillengläsern sieht er wie ein kleiner Aquarienfisch aus. Ob ich ihn etwas auf den Arm nehme? Ich klimpere probehalber mit den Wimpern. Aus Postbotenrosa wird Feuerwehrmannrot. Prompt verfällt er in hektische Betriebsamkeit, doch sein Fahrrad rührt sich nicht von der Stelle. Der Gummireifen klemmt offenbar in der Spurrille. Hund springt auf und bellt alarmiert. Noch während ich darüber nachdenke, ob ich ihm zu Hilfe eilen soll, nähert sich ein unheilvolles Rattern.
Das Cook & Chill rühmt sich einer absolut bevorteilten Lage. Die Haltestation der Linie 1 liegt ein paar Häuser weiter. Heißt, die Straßenbahn fährt alle zehn Minuten am Laden vorbei, mit Getöse und meist zu schnell.
Der Postbote rüttelt am Lenker. Durch die Windschutzscheibe erkenne ich die schreckgeweiteten Augen des Bahnführers. Die Hupe scheppert los wie ein altersschwacher Wecker, hässliches Bremsenkreischen mischt sich darunter. Der Briefträger flucht, seine Beleidigungen beeindrucken das Postrad jedoch kein bisschen. Ich öffne den Mund, aber meine Beine reagieren flotter.
Mit einem überraschten Schrei verliert der junge Mann das Gleichgewicht. Wahrscheinlich hat er sich eine körperliche Begegnung mit mir irgendwie anders vorgestellt.
„Katta! Hast du dir wehgetan?“ Jemand zerrt an meinem Hosengürtel, Gebell und Stimmengewirr dringen in mein Bewusstsein. Ich hebe den Kopf. Das Stöhnen kommt eindeutig nicht aus meiner Brust, sondern hat seinen Ursprung unter mir. So
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