Haeppchenweise
eines Schlichtungsversuchs zwischen den beiden ungewollt zum gemeinsamen Feind. Da helfen bloß geballte Chefallüren.
Ich schlittere über die Reiskörner-Rollbahn auf den Fliesen, schlage einen Bogen um die verstreuten Porzellanscherben und lege eine Vollbremsung ein. Von der glänzenden Masse in der Raummitte steigt ein süßliches Aroma auf, das die ganze Küche erfüllt. Die haben sich getraut, meinen Blütenhonig-Vorrat anzufassen, obwohl ich vorsorglich einen Verbotszettel auf die Kiste geklebt hatte!
„Wer war das?!“
Julius und Helga sehen einander betreten an. Er beugt sich schwerfällig nach vorne und massiert mit der Faust seinen Oberschenkel, als schmerze sein Bein, Helga spitzt den Mund. Ein Dauerwellenlöckchen klebt in ihrem Teiggesicht und jeder Versuch, das vorwitzige Ding zurückzustreichen, bleibt vergeblich. Verstohlen trocknet sie ihre Hände an der Küchenschürze.
„Wer. War. Das?!“
„Ich bestell Neuen.“ Julius macht ein Hohlkreuz und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust.
„Und?“
„Tschuldigung.“
„Eijentlisch bin ich dat schuld ... der Julius kann nix daför!“ Ängstlich macht Helga einen Schritt auf mich zu. Julius abwärts gezogene Mundwinkel zucken, gefolgt von einem winzigen Beben seiner Nasenflügel.
„Lass mal, Helgalein. Ich hab zuerst in den Reissack gegriffen.“
Helgalein. Nur mühsam beherrsche ich meine Gesichtsmuskeln. Helga errötet wie ein Schulmädchen.
„Worum ging´s hier überhaupt?“ Von dem miesepetrigen Julius erwarte ich keine brauchbare Auskunft, also schaue ich Helga an.
„Äh ... ja, nu ...“
„Wir waren uns kurz uneinig.“ Julius rührt betont geschäftig in dem mächtigen Pott, der von uns allen nur der „eiserne Hans“ genannt wird.
„Und worüber wart ihr euch uneinig?“
„Wegen dat Marinad´ für ed Honighühnsche“, mault Helga, klappert mit ihrem Putzeimer und fischt eine Glasscherbe aus der zähflüssigen Masse, die einst mein Blütenhonig war. Von der Tür erklingt unterdrücktes Gelächter. Ich werfe Sascha einen mahnenden Blick zu.
„Ihr zerdeppert meinen toskanischen Biohonig wegen eines Marinaderezepts?!“
Helga schaut Hilfe suchend zu Julius, der schulterzuckend den eisernen Hans vom Gasherd hievt. Dann passiert alles rasend schnell.
Das Knacken ist entsetzlich, ein Geräusch, als breche man beidhändig einen Hühnerknochen entzwei. Julius verliert auf dem reiskörnigen Untergrund das Gleichgewicht, der Kessel kippt und ein sämiger, dunkler Sturzbach schwappt über Herd und Arbeitsplatte, ergießt sich auf Julius Kochschürze und fließt seine Schenkel herunter. Erschrocken lässt Julius den Henkel los und greift nach einem Halt. Ein Zischlaut! Julius reißt schreiend seine Handfläche von der glühenden Kochplatte. Seine Knie geben nach, er stürzt zu Boden. Und bleibt stöhnend in der Soßenlache liegen.
„JULIUS!“
Zeitgleich stürzen wir los. Helga sinkt in die Hocke und bettet Julius´ Kopf in ihren Schoß, während ich den Eisenkessel beiseitetrete und nach einem Handtuch greife. Sascha steht wie schockgefrostet an der Tür herum.
„Ruf den Notarzt!“ brülle ich ihn an. Keine Reaktion. „Sofort!“
Sascha fährt zusammen und rennt aus der Küche.
„Kannst du dich bewegen, Julius?“
Behutsam hebe ich seinen Ellbogen an, Julius heult auf. Okay, offensichtlich nicht. Aus seinem Mundwinkel quillt Speichel, der in dem grauen Vollbart versickert. Die kopflose Helga tupft mit ihrem Rockzipfel die Tunke von seiner Brust und wimmert, als sei sie diejenige, die Schmerzen hätte.
„Ming Jott, wie fürchterlich ... wie fürchterlich!“
„Helga hör auf!“
Doch da ist kein Ankommen. Sie reagiert überhaupt nicht auf mich, schrubbt weinend an Julius´ Brustlatz herum und schüttelt den Ärmsten hin und her. Bis er verzweifelt nach Luft schnappt und seine Finger in ihren Unterarm krallt.
„Helgalein ... lass gut sein“, ächzt er und endlich begnügt sie sich mit ersticktem Schluchzen. „Hund“ schleicht mit krummen Rücken heran, wohl wissend, dass er in der Küche nicht erwünscht ist. Er schnuppert an der Stirn seines Herrn und leckt an dem soßengetränkten Hosenbein. Eine Geste, die mir die Tränen in die Augen treibt.
Julius umklammert mein Handgelenk. Der Kloß in meiner Kehle macht es mir unmöglich, etwas Tröstliches zu sagen. Der gedrungene, zähe Kerl sieht plötzlich wie ein Greis aus. Er beißt sich auf die Unterlippe und bricht den Versuch, sich aufzurichten,
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