Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Lärm und die Abgase der Autos schützen sollte, die nur ein paar Meter entfernt vorbeisausten. Eigentlich war es merkwürdig, dass kein Mensch zu sehen war. Es war zwar ein normaler Mittwochvormittag, aber irgendwelche Witwen oder Witwer mussten doch kommen und Schneematsch und verrottetes Laub von den Grabsteinen fegen?
Sie drehte sich ein letztes Mal um, sie sah niemanden. Weiter hinten waren die Schule und der Schulhof. Eine andere Welt.
Er drückte sie an den Wall, sodass ihr Rücken die lehmige Wand berührte. Er schaute sich um, versicherte sich, dass niemand in der Nähe war und zog ihre Hose bis zu den Waden herunter und beugte sich schwer über sie.
Sie schloss die Augen und verschwand im rosalila Heidekraut, das die Gedenkstätte weiter hinten zierte. Alles wurde so viel klarer, wenn sie die Augen schloss.
Die Gedenkstätte bestand aus einer weichen Grube, einer Art Krater. Ganz unten formten runde Steine ein Symbol von Ewigkeit. Eine liegende Acht. Vermutlich sollte das trösten, wir werden geboren und sterben, werden geboren und sterben, immer und immer wieder. Ein ewiger Kreislauf von neuen Menschen, neuen Generationen. Wie schrecklich deprimierend und trostlos.
Gisela sagte immer, das Leben ist wie ein Hufeisen, an beiden Enden offen und durch und durch hart. Julia hatte es damals nicht verstanden, aber eigentlich bedeutete es das Gleiche wie die Ewigkeits-Acht. Das Leben und der Tod wie zwei offene Türen ins und aus dem Leben. Vielleicht war man vor der Geburt am gleichen Ort wie nach dem Tod?
Das Leben war nur eine Klammer von einigen Jahren, es kam dazwischen und störte.
Es war so selbstverständlich, dass sie fast lachen musste. Plötzlich war alles sonnenklar. Sie hatte noch nie Angst vor dem Tod gehabt, aber solange es Emma und Annika gab, war das Leben erträglich, machte manchmal sogar Spaß. Ein paar Jahre hatte es ihr tatsächlich gefallen zu leben. Aber jetzt wusste sie, dass es nie wieder so werden würde.
Sein lautes Stöhnen störte sie, und für einen Moment kam sie wieder in ihren Körper zurück, schlug die Augen auf und schaute in seine Fliegenschisspupillen, die sie wütend anstarrten. Seine Bewegungen waren jetzt aggressiv, heftiger und härter, die kalte Erde schabte an ihrem Rücken. Er hielt eine Hand über ihren Hals, und als sie fast keine Luft mehr bekam, schrie er laut auf, sein Griff um ihren Körper wurde schlaff.
An den Innenseiten ihrer Schenkel lief etwas herunter, sie zog schnell den Slip und die Jogginghose hoch. Sie sah, wie er seine Hose zuknöpfte und den Ledermantel richtete, der verrutscht war. Er grub in der Tasche und holte eine durchsichtige Plastiktüte mit weißen Tabletten heraus.
»Hier, das ist für euch alle drei.«
Sie streckte die Hand aus, nahm die Tüte und steckte sie ein. In ihrem Kopf klingelte Sussies Ermahnung, die Sachen in der Jacke zu verstecken. Eigenartig, dass sie sich daran erinnerte, wo doch alles andere streikte.
Er war schon aus dem Gebüsch herausgetreten und stand nun mit dem Rücken zu ihr und zündete sich eine Zigarette an. Sie machte den Reißverschluss der Jacke zu und schauderte, plötzlich drang die Kälte durch alles hindurch. Außerdem musste sie dringend pinkeln. Wann hatte sie zuletzt gepinkelt? Heute Morgen um sieben?
Die Beine zitterten, als sie von ihm wegging, es brannte zwischen den Beinen, als sie schräg über die Gedenkstätte mit der Ewigkeits-Acht aus Steinen lief.
Der Schulhof war leer, bis auf den Hausmeister, ein älterer Mann Anfang sechzig mit dünnen grauen Haaren und einem großen runden Bauch, der eine Lampe reparierte.
Das hieß, sie kam zu spät zur Mathestunde, die um eins begann. Das hatte Fragen zur Folge, hier und im Sonnenblumenhof. Sie stand unter besonderer Kontrolle. Man machte sich Sorgen. Obwohl sie versuchte, mitzuspielen und zu antworten. Einen kurzen Moment schlug ihr Herz, dann fiel ihr ein, dass eigentlich nichts mehr eine Rolle spielte. Sie brauchte nicht mehr mitzumachen. Zum ersten Mal seit langem lächelte sie breit und aus dem Innersten heraus.
Auf der Wand über der Kritzeltafel im Sonnenblumenhof stand ein blöder Spruch. Dies ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Dieser Spruch hatte sie schon immer provoziert, und es freute sie, dass jemand darunter geschrieben hatte: Das ist der letzte Tag vom Rest deines verdammten Lebens!
Sie lächelte, als sie daran dachte. »Das ist der letzte Tag vom Rest meines verdammten Lebens!«
Das Lächeln blieb den ganzen
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