Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
bringen!«
Sie betreten gemeinsam den kahlen Raum. Swensen stellt den Kassettenrecorder auf den Tisch um das Gespräch aufzuzeichnen. Silvia setzt sich hinten links auf seinen alten Platz. Schon nach einer Minute Warten quält Swensen eine unangenehme Spannung. Er hat das Gefühl, dass die Zeit sein Überlegenheitsgefühl filtert, dass es ihm immer mehr entgleitet, je länger er warten muss. Das Spiel hat noch gar nicht begonnen, aber seine Strategie ist bereits vor der Zeit vom Platz gestellt worden.
Endlich hört er Schritte auf dem Flur. Die Tür öffnet sich. Ein Beamter führt Wraage zum Stuhl, nimmt ihm die Handschellen ab und verlässt den Raum. Dann sitzen sie sich gegenüber. Wraages Blick bohrt sich in Swensens Augen. Der beschließt aus strategischen Gründen so zu tun, als wenn er dem Blick nicht standhalten kann.
Ich spiele die Rolle des schwachen Vaters, denkt er. Erst mal an seinen guten Willen appellieren, möglichst devot.
»Herr Wraage, wie ich sehe, ziehen Sie es leider weiterhin vor zu schweigen. Können Sie sich nicht einen Ruck geben, damit das hier nicht endlos dauert? Wir lassen Sie jeden Tag hierher holen, und Sie sitzen einfach nur da«, sagt Swensen anklagend, wobei er den Blick weiterhin gesenkt hält. »Das ist doch für uns alle keine gute Situation!«
Der hält nicht mal meinem Blick stand, denkt Wraage. Was will der Typ eigentlich von mir? Der kann mir doch sowieso nichts beweisen. Alles ist hieb und stichfest, perfekt abgewickelt. Der kann nicht wirklich glauben, dass er mit diesem lächerlichen Appell irgendetwas bei mit erreichen wird.
»Was wollen Sie denn eigentlich von mir hören, Herr Swensen?«, sagt er mit weicher Stimme, indem er sich lässig zurücklehnt.
Er redet, registriert Swensen erleichtert ohne eine Regung zu zeigen.
»Sie wissen, was wir Ihnen vorwerfen«, sagt er ruhig. »Ich würde gerne hören, was Sie uns dazu sagen möchten.«
Was ich sagen möchte, wiederholt Wraage in Gedanken. Das klingt ja sehr höflich. Höflich sein kann ich auch.
»Mein lieber Herr Swensen, mir ist völlig schleierhaft, wie Sie auf die Idee kommen, ich könnte Herrn Peters ermordet haben.«
Na endlich, denkt Swensen mit zunehmender Spannung. Die Sache kommt in Fluss. Jetzt bloß weiter so. Er muss glauben, wir hätten nichts in der Hand.
»Sie sind doch ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch. Sie waren früher ein brillanter Geldfälscher und sind jetzt ein erstklassiger Romanfälscher. Aber wir können auch eins und eins zusammenzählen. Hajo Peters hat Edda Herbst ermordet, das wissen wir genau. Und Sie wussten das! Ich habe ihre Stimme erkannt, als mich die angebliche Entrümpelungsfirma anrief – auch wenn Sie sie noch so verstellt haben. Und ich habe Ihr Flugblatt in der Wohnung von Edda Herbst gefunden. Ein wenig zu viele Zufälle, oder?«
Alles unausgegorene Ahnungen. Der fischt im Trüben. Der probiert einfach völlig dilettantisch herum.
Wraage sucht in Swensens Gesicht eine Bestätigung seiner Überlegungen. Doch da gibt es nichts zu sehen.
Da müssen die schon jemanden mit einem anderen Kaliber aufbieten.
»Lieber Herr Kommissar«, sagt er mit herablassender Stimme, »finden Sie nicht, dass das eine sehr merkwürdige Rechenaufgabe ist, die Sie da erstellen?”
Swensen beißt die Zähne zusammen.
»Lassen Sie einfach die Spielchen! Das ist doch unter Ihrem Niveau«, entgegnet er. Das war zu scharf, denkt er sofort. Du musst jetzt unter allen Umständen freundlich bleiben. Weiter schmeicheln.
»Ich verstehe gar nicht, warum Sie nicht stolz auf ihre Leistung sind. Das ist eine begnadete Arbeit, die Sie da geschaffen haben. Ich bin zwar nur Laie, aber ich hab mich ein wenig im Internet umgesehen. Die Fälschung des Storm-Romans ist in ihrer Machart mindestens mit den Fälschungen von William David Ireland vergleichbar.«
Mit einem großen Unterschied, Sie Unwissender. Ireland, dieser grüne Jüngling, ist völlig ohne Plan vorgegangen. Hat einfach nur gemacht. Deshalb hat er sich auch vergaloppiert. Mit 19 Jahren ein Shakespeare-Theaterstück zu fälschen, das musste auffliegen! Und da war er natürlich weg vom Fenster. Am Ende blieb nur ein tristes Leben als verkannter Schriftsteller.
»Zu gütig, dass Sie mich nicht mit Herrn Kujau vergleichen, diesem Stümper. Der Shakespeare-Fälscher Ireland war in seiner Art schon ein Genie. Am Anfang hat er hervorragend gearbeitet, erstklassige Fälschungen erstellt, die von Experten anstandslos beglaubigt
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