Hahn im Korb.
ihres Mannes vor fünf Jahren hatte die Frau die Wohnung nebenan bezogen, und doch hatte Vito außer einem Gruß auf der Treppe noch nie ein Wort an sie gerichtet. Die Witwe Tripepi war noch jung und ansehnlich und führte ein zurückgezogenes Leben. Von Zeit zu Zeit suchte eine entfernte Verwandte sie auf und leistete ihr Gesellschaft. Im Dorf wurde wenig über sie geredet: Es gab keinen Klatsch über sie, und die wenigen Male, da man auf sie zu sprechen kam, ersparten Masino oder Vasalicò ihr die Anspielungen, die gewöhnlich das Kreuz aller jungen Witwen sind.
Doch wer weiß, was den Frauen so im Kopf herumgeht. Im übrigen war sie nicht einmal von hier, sie war zehn Jahre zuvor zusammen mit dem Ehemann aus Palermo ins Dorf gezogen. Es konnte sich ja um Geschichten von früher handeln.
»Morgen früh«, sagte er sich, »gehe ich hin und spreche mit ihr.«
So fand er die Kraft, ins Schlafzimmer zurückzukehren, sich auszukleiden und im Morgengrauen erschöpft in einen leichten Schlaf zu fallen.
In Masinos Café, das eben erst aufgemacht hatte, stand noch der scharfe, kalte Zigarettenqualm vom Vorabend; der Duft der ofenfrischen Brioches, die der Bäcker gerade gebracht hatte, und des Kaffees kamen nicht dagegen an. Der Cavaliere Attard, ein Frühaufsteher, saß in einer Ecke vor seiner granita di limone, in die er einen Mürbeteigkeks tunkte, und war heute besonders ungehalten.
»Das ist der reinste Wahnsinn! So weit sind wir jetzt schon!« stieß er hervor und fuhr noch aufgebrachter fort: »Zur Zeit des Faschismus hätte es so etwas nie und nimmer gegeben!« Er warf herausfordernde Blicke auf die Seemänner und die Packer, die besten unter den Hafenarbeitern; sie kannten ihn gut, und seine Worte gingen ihnen zum einen Ohr rein und zum andern wieder raus. Der Cavaliere Attard war der letzte politische Sekretär im Ort gewesen, bevor die Amerikaner kamen: Vierundzwanzig Stunden vor ihrer Landung, unter einem Geschoßhagel vom Himmel und von der See, hatte ein anderer, der mehr Erfahrung hatte als er und schon die Fahrkarte nach Rom in der Tasche trug, ihm eiligst die begehrte Befehlsgewalt übertragen. Infolgedessen hatte der Schneider, der – wie alle anderen auch – Haushalt und Geschäft in einem in den Mergelboden gegrabenen Unterschlupf untergebracht hatte, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang auf den Beinen bleiben müssen, um ihm die Uniform zu nähen.
»Sehen Sie, Cavaliere, mir scheint, es ist vertane Müh'«, hatte der Schneider beim Einfädeln des Fadens wagemutig verlauten lassen.
»Befehl ist Befehl.« Mit diesen Worten hatte der Cavaliere ihn zum Verstummen gebracht.
In der Uniform war er gerade noch rechtzeitig aus dem Versteck gekommen, um sich vor einem amerikanischen Soldaten aufzubauen; als der ihn plötzlich schwarz wie Tinte gekleidet vor sich sah, hatte er erschrocken einen Satz nach hinten gemacht. Gewiß hatten sie ihn in Amerika unzulänglich über die Gefährlichkeit sizilianischer Faschisten aufgeklärt.
Im Nu sah sich der Cavaliere von anderen Soldaten umgeben, die ihn herumstießen, prügelten und auszogen – seine in gleich große Stücke zerrissene Uniform wurde unter den Angreifern wie eine Reliquie verteilt; in Unterhose wurde er Seite an Seite mit den Negern gezwungen, Militärkisten von den Amphibienfahrzeugen abzuladen, die ununterbrochen im Hafen eintrafen, in einem heillosen Durcheinander von Stimmen und
Als er aus der Gefangenschaft entlassen wurde, holte eine Schar junger Männer ihn am Bahnhof ab, um ihm den Posten eines Ortsgruppensekretärs der neu gegründeten neofaschistischen Partei, kurz MSI, anzubieten. Doch der Cavaliere hatte entschieden abgelehnt: »Ich werde auf immer der unverfälschten Idee die Treue halten«, lauteten seine Worte. Und er war um nichts in der Welt dazu zu bringen, sich das Abzeichen irgendeiner anderen Partei anzustecken – »Der Cavaliere Attard wählt nicht«.
Vasalicò begriff beim Eintreten sofort, daß der Cavaliere heute groß in Form war.
»Haben Sie gut geschlafen, Cavaliere?« erkundigte er sich zuvorkommend.
»Ich schlafe, wie Ihr Bruder, dieser Hornochse von Bürgermeister, will, daß ich schlafe.«
»Wieso, haben die Schnaken Ihnen zugesetzt? Die gab's auch zu Zeiten des Faschismus, wie mir scheint«, entgegnete Vasalicò ruhig.
»Nein, der Herr, die gab es nicht. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, der Faschismus hat den Schnaken den Krieg erklärt. Und
Weitere Kostenlose Bücher