Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
etwas schiefgelaufen war, wenn er bittere Brocken zu schlucken hatte und Lust bekam, Dinge zu tun, die er vielleicht bereut hätte, dann ließ er seinen Instinkten freien Lauf und tröstete sich mit der Lektüre der Schlacht der »Drei gegen Drei«:

    Wenn sie in der Schlacht sich finden und jede Lanz' am Schaft gebrochen gen Himmel fliegt, wenn das Meer vor Lärm mächtig anschwillt …

    Oder wenn er von einem anderen Fieber befallen wurde, das bei den hastigen Zusammenkünften mit Giovanna nicht wirklich gekühlt werden konnte, so gab es da als Heilmittel eine bestimmte Episode:

    Fiammetta rücklings darniederlag, geradewegs zwischen ihre Beine er kam, und als er nah bei ihr, sie ganz fest in die Arme nahm …

    Da war nichts zu machen. Wie sehr er auch sein Gedächtnis anstrengte, um einen bestimmten Vorfall wieder ans Licht zu holen, irgendein Ereignis, das er bei einer ersten Gewissensprüfung als absolut harmlos erachtet hatte – er fand einfach nichts, auch wenn er die Sache unter einem ganz anderen Blickwinkel, vielleicht aus der Sicht eines Beteiligten oder nur eines Zeugen betrachtete. Und die fortdauernde Bestätigung seiner Unschuld erhöhte am Ende gar seine Qual und seine Angst, anstatt ihm wohlzutun: Wenn Vito die abgerissenen Kalenderblätter seines Lebens durchging – die keinen sehr hohen Haufen bildeten –, empfand er das Fehlen jeglicher Schuld selbst schon als eine Schmach; sie brannte wie ein glühendes Eisen in seinem Fleisch.

    »Auch du, geh schlafen«, meinte Corbo zum Bauern. Der aber blieb hocken.
      »Nach Hause?« Doch am Ton seiner Frage und an seiner Haltung war zu erkennen, daß er sich keine Hoffnung machte, was die Antwort anging.
    »Pah«, rief Corbo, »bist du denn übergeschnappt?«
      »Ich habe eine reine Weste«, begann der Bauer in jammerndem Ton. »Ich habe sie mir nicht schmutzig gemacht.«
      »Das weiß ich«, entgegnete der Maresciallo. »Warum sollte ich mir die ganze Nacht um die Ohren schlagen, damit du mir Dinge sagst, die ich ohnehin schon weiß. Du mußt mir die sagen, die ich noch nicht weiß.«
    »Soll ich vielleicht die Zukunft weissagen?«
      »Ja, sieh zu, daß du sie weissagst. Aber laß dir Zeit, sie wird dir schon einfallen. Hier bei uns wirst du dich wohl fühlen. Bring ihn rüber«, sagte er zu Tognin. Carbone schickte sich an, ihnen zu folgen. »Du nicht«, sagte Corbo. »Wir lassen uns die Sache noch mal durch den Kopf gehen, wir beide, dann legen wir uns noch drei Stündchen aufs Ohr.«

    Nach stundenlanger Pein hatte er einen völlig ausgedörrten Hals, als hätte er tagelang pausenlos geredet, und mußte unbedingt etwas trinken. Mühsam erhob er sich – seine Beine waren wie aus Blei – und ging gebückt in Richtung Küche, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, als wollte er sich vor weiteren Gewehrschüssen schützen. Er tastete den Geschirrschrank ab, um sich ein Glas zu nehmen, als er in der Stille deutlich ein leises Geräusch hinter der Wand vernahm, wie von einem Stuhl, der gerückt wird. Er konnte sich nicht beherrschen und machte einen Satz nach hinten. Dann begriff er, daß das Geräusch aus der Nachbarwohnung kam, wo die Witwe Tripepi wohnte: Da die Frau allein lebte, konnte es niemand anders als sie gewesen sein. Er ging zum Spülstein, öffnete den Wasserhahn, ließ das Wasser laufen, damit es kühler wurde, und füllte das Glas. Als er es an die Lippen führte, kam ihm ein Gedanke. Er trank in langen Zügen und versuchte, dem Ganzen ein logisches Gerüst zu geben. So wenig ihm von den schrecklichen Augenblicken in Erinnerung geblieben war, zwei Dinge wußte er mit Gewißheit: Als er um die Ecke auf die Piazza gebogen war, hatte die Witwe noch auf ihrem Balkon gesessen und war von der Straße aus zu sehen gewesen, auch wenn ihr Stuhl hinten im Zimmer stand. Der Schuß war oberhalb des Türrahmens eingeschlagen, nämlich oben rechts, in der Mitte zwischen der Tür und dem Balkon der Tripepi, weshalb auch der Verputz auf ihn heruntergebröselt war. Auch der zweite Schuß, nachdem er die Tür geschlossen hatte, war der gleichen Bahn gefolgt wie der erste – das zumindest schloß er aus dem Einschuß. Die Schüsse waren viel zu hoch gewesen, als daß man mit Sicherheit hätte sagen können, sie hätten ihm gegolten. Wie ein durstiger Hund, der Panik in sich hochsteigen fühlt und im Schlamm nach einem Tropfen Wasser sucht, fand Vito etwas Erleichterung in dieser Idee.
    Über die Witwe Tripepi wußte er wenig. Nach dem Tod

Weitere Kostenlose Bücher