Hahn, Nikola
die besten Namen,
Wird
auch der meine genannt.
(Karl
Hopf auf einer Ansichtskarte in Anlehnung an Heinrich Heine)
Frankfurt,
den 24. April 1912
Liebste
Mama!
Ich
habe mich sehr über Deinen Brief gefreut, nachdem ich so lange nichts von Dir
gehört hatte. Noch mehr freut es mich, daß es Dir gut geht. Sicher wartest Du
schon ungeduldig auf meine Antwort, und Deine Frage nach unserer kleinen Marianne
möchte ich gleich vorab beantworten: Sie entwickelt sich prächtig und hält mit
ihrem Geschrei das ganze Haus auf Trab. Dafür hatte ich eine schlimme Grippe zu
überstehen, und das ist auch der Grund, warum ich erst jetzt schreibe. Aber Du
brauchst Dich nicht zu sorgen: Dank der liebevollen Fürsorge meines Mannes bin
ich wieder ganz wohlauf. Leider kann ich das von Großvater nicht sagen. Er
braucht Hilfe beim Gehen, und mit seinem Augenlicht wird es immer schlimmer.
Andreas liest ihm jeden Abend die Zeitung vor. Seit David nach München gezogen
ist, verbringen die beiden viel Zeit miteinander. Obwohl es Großvater wirklich
schlecht geht, kommt keine Klage über seine Lippen- im Gegenteil! Ich habe ihn
niemals so zufrieden und ausgeglichen erlebt wie in den vergangenen Monaten.
Ich glaube, es liegt vor allem an
Andreas,
und ich frage mich, ob es vielleicht das ist, was ihm immer gefehlt hat: Ein
Sohn, auf den er stolz sein kann?
Unsere
Jungs gedeihen prächtig. Richard hat den Kopf voller Streiche, während sein
Bruder eher ruhig und verschlossen ist. Jedesmal, wenn ein Brief von Dir kommt,
fragen die beiden, wann denn ihre Großmama aus Indien zurückkommt... Nun, was
soll ich ihnen sagen?
Manchmal,
wenn ich meinen Ältesten anschaue, sehe ich Martin vor mir, und mir wird angst,
wenn ich daran denke, daß sein Sohn einmal werden könnte wie er. Auch wenn Du
andere Gründe hattest als ich, kann ich inzwischen verstehen, warum es Dir so
schwerfiel, mir die Wahrheit über meine Herkunft zu sagen. Ich hoffe, Richard
wird niemals erfahren, wer sein Vater war. Ich weiß, man darf so etwas nicht
sagen, aber ich wünschte, Martin würde im Zuchthaus sterben und nie mehr in
Freiheit kommen. Daß er überhaupt begnadigt wurde, verstehe ich bis heute
nicht.
Du
fragtest, ob ich etwas von Herrn Braun gehört habe. Sein letzter Brief war kurz
und kam im Februar, einige Tage, nachdem ich den Deinigen erhielt. Ich soll
Dich herzlich von ihm grüßen, was ich hiermit tue. Er hat nichts davon
geschrieben, wie es seiner Frau geht, aber wenn sich ihr Zustand gebessert
hätte, hätte er es bestimmt erwähnt. Vergangene Woche sind die letzten Blüten
der Kamelie verwelkt. Ich denke oft an den Tag, als er sie mir brachte. Es war
für ihn sicher ein großes Opfer, sein ganzes Leben hinter sich zu lassen, in
der Hoffnung, daß ein Aufenthalt an der See seiner Frau Linderung bringt.
Von
Flora habe ich unlängst eine Postkarte erhalten - die erste Nachricht seit fast
einem Vierteljahr! Stell Dir vor, sie will Motorfliegen lernen! Aber eigentlich
ist das ja kein Wunder, so wie sie schon als Kind Käthchen Paulus bewundert
hat. Ansonsten verdient sie sich - wie sie stolz schreibt- ihr Geld
am
Theater. An Weihnachten wollte sie uns besuchen, aber wie immer kam ihr in
letzter Minute etwas dazwischen. Ich nehme an, den versprochenen Brief an Dich
hat sie auch nicht abgeschickt, oder?
Hast Du
von dem schlimmen Schiffsunglück gehört? Neun Tage ist es her, und noch immer
kann ich es nicht fassen! Der älteste Bruder von Martha Kamm ist unter den
Opfern, und ich sehe ihn noch vor mir, wie er von diesem Wunderschiff
geschwärmt hat. Es läuft mir eine Gänsehaut den Rücken herunter, wenn ich daran
denke, daß Andreas sich beinahe von ihm hätte überreden lassen, seine für
Sommer geplante Geschäftsreise nach Amerika vorzuverlegen, um die Jungfernfahrt
dieser angeblich unsinkbaren Titanic mitzumachen!
Kannst
Du Dich noch an Herrn Hopf erinnern? Ich mochte ihn ja nie leiden, aber er ist
mittlerweile eine Berühmtheit weit über Frankfurts Grenzen hinweg. Er nennt
sich nach einem der Drei Musketiere »Athos« und tritt als Degenkünstler im
Schumann-Theater auf. Daß er seiner Assistentin einen Apfel auf der Kehle
zerteilt, ohne daß sie den kleinsten Kratzer abbekommt, ist Gesprächsthema auf
jeder zweiten Abendgesellschaft. Die Leute reißen sich um die Eintrittskarten,
und alle Frauen zwischen zwanzig und fünfzig scheinen für ihn zu schwärmen.
Auch Tante Maria gehört zu seinen Verehrerinnen. Offenbar steht sie sogar in
engem
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