Hahn, Nikola
den Mann dann festbinden,
ham wir erst gesehn, das er ne Waffe hat. Der hätt uns glatt totschießen könen,
aber die Frau hat das überhaupt nicht geschert. Die hat wieder nur gelacht.
Richtig frölich hat sie mit einmal ausgesehn. Das würd ja prima passen, hat sie
gesagt. Als der Mann dann zu sich kam, hat die Frau ihn beschimpft. Er hätt
jemand in der Hütte totgeschossen, aber der Mann hat gesagt, das war er gar
nich, und wie er das sagt, da holt die Frau ne Pistole raus und lacht wieder
ganz schrecklich. Und dann hat der Mann gesagt, was ich schon geschrieben hab.
Und dann kriegt er Schweis auf die Stirn, und dann is er auf einmal tot. Und da
hat die Frau gebrüllt wien Tier und wollt
mit der
Pistole auf ihn draufhaun, aber sie hats dann doch nich gemacht. Ich hab
gedacht, die is ja irr. Und wenn das Geld nich gewesen war, war ich gleich
weggelaufen. Dann hat die Frau gesagt, das wir den Mann losmachen und überson
umgestürzten Baumstamm legen solln, warum, weis ich nich. Der Italiener und ich
ham dann das Geld genomen, das war in zwei Umschläge und sin nix wie weg. Und
wie wir im Wald warn, ham Wimen Schuss gehört, und sin noch viel schneller gerannt.
Ich hab noch nie in meim leben soviel Bammel gehabt.
Die
Frau hat gesagt, wir solln aus Frankfurt abhaun, und wir wollten nach Hamburg.
Der Italiener is dann völlig verückt gewesen und hat gesagt, der tote Mann war
ein Polizist, und wir würden deswegen aufm Schafot landen. Und wenn jemand auf
der Strase gekomen is wollt er immerzu in die Kanalschächte reinkriechen. Da
wär er sicher, hat er gesagt. Und das er sich auskennt da unten und das er
wieder heimwill in den Turm. Ich hab dann richtig Schiss vor dem gekriegt und
das der mir vielleicht was antut, wenn ich schlaf. Und dann hab ich mich nachts
heimlich davongemacht. Und das Geld, das war schnell futsch, ich hab viel
gesoffen und war in den Bordells. Und eigentlich war ich froh, wies endlich weg
war, das verfluchte Geld.
Ich hab
viel geklaut und sonst nix Gutes gemacht in meim Leben aber ich hab nie jemand
was zuleid tun wolln, und der Mann am Baum hat mich immerzu verfolgt. Bis heut
seh ich den vor mir. Und ich frag mich, ob der Italiener wohl recht gehabt
hat. Ob das wirklich ein Schutzmann war? Und warum die Frau den so gehast hat.
Ich hoff, das ich jetzt endlich in Frieden sterben kann.
In
ergebenster Hochachtung Ferdi Hammond
Neues
vom Kinderhandel
mit
Jahresbericht über meine Recherchen und
Fürsorgetätigkeit
vom 1.9.1912 bis 31.8.1913
von
Schwester
Henriette Arendt Polizeiassistentin a. D., Stuttgart
Die
Aufdeckung und Bekämpfung des Kinderhandels und die Fürsorge für seine kleinen
Opfer war auch im vergangenen Jahre meine Aufgabe, der meine ganze Zeit und
Kraft gewidmet war. Mit besonderer Freude kann ich konstatieren, daß es mir
möglich war, eine eigene Gehilfin mit den auswärtigen Recherchen zu betrauen.
Die Dame erwies sich als sehr tüchtig und zuverlässig, und zu meinem großen
Bedauern muß ich sie am 1. Oktober d. J. entlassen, weil trotz größter
Sparsamkeit keine Mittel mehr vorhanden sind.
Es
wurden in den letzten Jahren Recherchen angestellt in Cöln am Rhein, Frankfurt
a. M., Mannheim, München, Metz, Nancy, Nürnberg, Stuttgart, Würzburg.
Als ich
in meiner Eigenschaft als Polizeiassistentin dem Kinderhandel energisch zu
Leibe rücken wollte, bezeichnete der zweite Bürgermeister der Stadt Stuttgart
mein Vorgehen als taktlos, da es die Stadt Stuttgart in Verruf bringe, erklärte
den Kinderhandel als bekannte Misere und verlangte ausdrücklich, »daß die
Arendt vom Stadtpolizeiamt so mit Arbeit überhäuft werden sollte, daß sie keine
Zeit mehr finden, den Inseraten in den Tageszeitungen nachzugehen«, und solche
taktlosen Dinge, wie die Aufdeckung des Kinderhandels, zu treiben.
Als ich
dann meinen Abschied einreichte und mich an den Polizeipräsidenten von Berlin
wandte, mit der Bitte, meine Bestrebungen zu unterstützen, wurde erwidert, daß
dem Antrag
nicht entsprochen
werden könne, mit der Begründung, das K. Polizeipräsidium Berlin habe »kein
Ressort für den Kinderhandel!«
Nun
werden meine Berichte, die sich auf 10jährige Erfahrung stützen, einfach als
auf höchst unzuverlässigen Informationen beruhend, als völlig unkontrollierbar
oder als stark übertrieben bezeichnet. Dieser Vogelstrauß-Politik gegenüber
möchte ich an dieser Stelle konstatieren, daß ich mein neuestes Material zum
großen Teil deutschen Behörden verdanke. Es sind
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