Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
Vom Netzwerk:
war eine treue Seele und neigte zu
übertriebener Vorsicht. Und manchmal hatte er diese Art. einen anzusehen, als
könne er Gedanken lesen! Der Klavierhändler schaute in den Spiegel, der
zwischen zwei Fenstern hing. Die Nase war rot. das Gesicht blaß, die Augen wirkten
glasig, aber das konnte man auf die Erkältung schieben. Er zündete eine Lampe
an und ging über den Flur ins Lager; vier düstere Räume, in denen sich mehr als
einhundert Klaviere. Harmonien und Flügel aneinanderreihten.
    Der
Bechsteinflügel stand vor einem ungenutzten Kamin im hintersten Zimmer. Das polierte
Holz glänzte im Lampenschein. Es zu berühren war ein sinnlicher Genuß. Consolo
würde begeistert sein. Hermann Lichtenstein freute sich auf den Besuch des
italienischen Pianisten, der nicht nur eine Passion für edle Musikinstrumente
hatte, sondern auch kurzweilig zu plaudern verstand. Er setzte sich, und die
quälenden Gedanken an Fräulein Zilly verschwanden. Sanft strichen seine Finger
über die Tasten aus Elfenbein; die ersten Akkorde von Beethovens viertem
Klavierkonzert erklangen. Irgendwo im Haus flog eine Tür ins Schloß. Abrupt
beendete Lichtenstein sein Spiel. Ihr Haar hatte geglänzt wie Gold. Und dann
hörte die Erinnerung auf. Er schloß den Flügel, daß es an den Wänden
widerhallte. Karl Hopf gehörte gevierteilt! Ihn in diese Pfefferhütte zu
schleppen! Die Türglocke läutete. Lichtenstein zog seine Taschenuhr hervor.
Kurz vor halb eins. Ernesto Consolo war früh dran.
    Doch es
war nicht der italienische Pianist, der Einlaß begehrte.
    »Du?«
fragte Lichtenstein erstaunt.
    »Ich
habe Ihnen gesagt, daß ich wiederkomme«, entgegnete der Besucher lächelnd.
    »Wie
versprochen, habe ich einen Interessenten mitgebracht.«
    Die
zweite Person war groß und schlank und stand seitlich im dunklen Flur. »Es tut
mir leid«, sagte Lichtenstein. »Im Moment paßt es schlecht, ich habe gleich
einen Termin. Wenn du ... Wenn Sie vielleicht heute nachmittag noch einmal
kommen könnten?«
    »Es
dauert nicht lange. Wir möchten uns nur rasch das Piano ansehen. Herr
Lichtenstein.«
    »Ja.
Aber ich habe wirklich nicht viel Zeit.«
    »Wir
auch nicht«, sagte der Besucher freundlich.
    Es war
absurd, und es gab nicht den geringsten Grund dafür. Doch Hermann Lichtenstein
bekam plötzlich Angst.
    »Das
habe ich gern«, schimpfte Richard Biddling. »Sie packen in aller Seelenruhe
Ihren Kram zusammen, und ich kann sehen, wo ich bleibe!«
    Kriminalwachtmeister
Heiner Braun grinste. »Ich habe keine Sorge, daß Sie die Frankfurter Räuber und
Mörder in Zukunft auch ohne mich überführen werden, Herr Kommissar.« Er riß
eine Seite aus einem Exemplar der Frankfurter Zeitung und wickelte zwei
goldbemalte Kaffeetassen darin ein.
    »Wahrscheinlich
die neueste Ausgabe«, brummte Richard. »Die ich selbstverständlich noch nicht
gelesen habe.«    ,
    Heiner
nahm die Reste der Zeitung. »Hm ja, fast. 17. Januar 1904, Viertes Morgenblatt.
Literarisches. Das Mineralreich von Dr. Reinhard Brauns, ordentlicher Professor
der Universität Gießen. Der Verfasser der chemischen Mineralogie und der
kleinen Mineralogie hat uns ein Werk vorgelegt, das im Vergleich zu den
üblichen Handbüchern einen ganz eigenartigen Charakter trägt...««
    »Es
reicht.«
    »Von
chromolithographisch erzeugten Krystallbildern kann man billigerweise nicht
überall Vollkommenes erwarten.«
    Richard
nahm seinem Untergebenen die Zeitung weg. »Wollen Sie mir an Ihrem letzten Tag
unbedingt den allerletzten Nerv rauben?«
    Heiner
sah ihn erstaunt an. »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie nach fast zweiundzwanzig
Jahren Zusammenarbeit noch einen übrig haben.«
    »Es
wird Zeit, daß Sie mir aus den Augen kommen, Braun!«
    Heiner
schloß seine abgewetzte Ledertasche. »Ich hätte einen Antrag auf Verlängerung
gestellt. Aber Helena
    »Schon
gut«, fiel ihm Richard harsch ins Wort. Er haßte Verabschiedungen, vor allem,
wenn sie endgültig waren.
    »Was
die Sache bei Pokorny & Wittekind angeht, bin ich allerdings wie Sie der
Meinung, daß da einer tüchtig nachgeholfen hat, um das Ganze wie einen Unfall
aussehen zu lassen, Herr Kommissar.«
    »Das
kann Ihnen jetzt gleich sein.« Richard gab ihm die Hand. »Ich wünsche Ihnen
alles Gute.«
    »Wenn
Sie Zeit haben ... Helena würde sich über einen Besuch freuen.«
    »Mhm«,
sagte Richard. Sentimentalitäten haßte er noch mehr als Verabschiedungen. Er
blätterte in einer Akte.
    »Ich war
gestern abend noch mal in Bockenheim und habe mir

Weitere Kostenlose Bücher