HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
hätte ich meinen Jahresurlaub eingereicht“, murmelte Kaltenbach. „Nur ein paar Tage. Ich muss mal raus hier, und Flüge gibt es am Hahn schon für ’nen Appel und ein Ei.“ Er seufzte theatralisch. „Aber es tut gut zu wissen, dass der Laden hier ohne mich nicht läuft. Ich werde eine Gehaltserhöhung einreichen, denn wenn ich so unentbehrlich bin, dann muss sich das auch in meinem Geldbeutel bemerkbar machen.“ Kaltenbach rieb bezeichnend Daumen und Zeigefinger aneinander, und als Prangenberg mit hochrotem Kopf an einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch erinnerte und wie ein gestrandeter Wal nach Luft schnappte, glitt Kaltenbachs Blick an Prangenberg vorbei aus dem großen Fenster im Rücken des Chefredakteurs. Von hier aus konnte man die Raiffeisenbrücke sehen. Der Rhein glitzerte im Sonnenlicht des Morgens. Erste Jogger liefen am Ufer entlang, einige Radfahrer lieferten sich mit rasanten Inlineskatern Wettrennen. Der Pegelturm ragte in einen fast wolkenlosen Himmel, und im Büro stand die Luft.
„Das Wetter ist einfach zu schön zum Arbeiten“, murmelte Kaltenbach, ohne den Blick von der Rheinpromenade abzuwenden.
„Klar“, polterte Prangenberg. „Weil die Sonne scheint, machen wir den Laden dicht und legen uns alle ins Freibad.“ Er hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch und sprang von seinem Stuhl auf. Mit einem einzigen Schritt baute er sich neben Kaltenbach auf.
Der Reporter drehte den Kopf zu ihm um und sah, dass der Chefredakteur kurz vor dem Platzen stand.
Günter Prangenberg tippte sich an die Stirn. „Sag mal, geht es noch? Die Zeiten, in denen es hitzefrei gab, sind vorbei. Du bist nicht mehr in der Schule, hast du das noch nicht mitbekommen, oder hast du schon einen Sonnenstich?“
„Ein verlängertes Wochenende wird wohl drinliegen“, entgegnete Kaltenbach unbeeindruckt.
„Du willst also raus?“ Prangenberg nestelte an seinem Kragen herum. „Ich kann dir einen Kompromiss vorschlagen: Die Kollegen von der Lokalredaktion in Koblenz suchen dringend Verstärkung. Da hat die Sommergrippe zugeschlagen. Drei Leute sind ausgefallen, einer ist schon aus dem Urlaub geholt worden. Ich könnte ihnen vorschlagen, dass du ein paar Tage dort arbeitest.“
„Ich denke, ich bin hier unverzichtbar?“ Kaltenbach runzelte die Stirn.
„Die Personaldecke ist im gesamten Laden dünn – zu dünn“, wich Prangenberg aus.
Vor einigen Jahren hatte der gute alte Rhein Wied Express expandiert. So gab es eine eigene Lokalausgabe für die Rhein-Mosel-Region. Der Sitz der Redaktion befand sich in der Koblenzer Altstadt, einen Steinwurf vom Deutschen Eck entfernt.
Bernd Kaltenbach war seit der feierlichen Eröffnung des Rhein Mosel Express, wie die Ausgabe dort hieß, ein paar Mal dort gewesen. Aber er arbeitete seit vielen Jahren für das Haupthaus in Neuwied, und er hatte nicht vor, das zu ändern. „Du willst mich strafversetzen?“
„Unsinn.“ Prangenberg schüttelte den Kopf. „Ich muss zusehen, dass ich die Zeitung voll bekomme. Und das geht ohne Reporter und Redakteure nun mal nicht.“
„Schön, so etwas mal aus deinem Mund zu hören“, grinste Kaltenbach.
„Also – wann kannst du da sein?“ Prangenbergs Gesichtszüge entspannten sich ein wenig.
„In einer Stunde, wenn es sein muss.“
„Es muss, fürchte ich.“ Prangenberg kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und griff zum Hörer. Er tippte eine Nummer ein, meldete sich und verkündete den Kollegen, dass sein Mitarbeiter in einer Stunde in Koblenz sei. Danach atmete er tief durch und blickte Kaltenbach dankbar an.
„Die Sache mit dem Kurzurlaub ist noch nicht vergessen“, schnaubte der Reporter und wandte sich ab. Während er das Büro verließ, fiel ihm der Name des hektischen Viechs ein, an den Prangenberg immer erinnerte: Scrat. So wie Scrat seiner geliebten Eichel hinterherjagte, so war der Chefredakteur des Rhein Wied Express immer auf der Jagd nach einer heißen Geschichte.
Prangenberg hat ab sofort einen neuen Spitznamen, beschloss Kaltenbach, dann ließ er seinen Chef alleine.
Gierig fraß die dunkelrote Honda CBX 750 den Asphalt der Bundesstraße 42. Bernd Kaltenbach duckte sich so tief wie möglich in den Windschatten der schweren Maschine und umklammerte den Lenker. Er schwitzte in seinem schwarzen Lederoutfit, doch nur selten verzichtete er auf die Schutzkleidung. Mit jedem Kilometer, den er auf seiner geliebten „Else“ zurücklegte, entspannte sich Kaltenbach ein wenig mehr. Jetzt wurde er schon
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