Hahnemanns Frau
sich die Wogen geglättet haben!«
»Ja, du hast recht. Ich werde den Kindern folgen, aber es geht nicht allein um mich. Ich muß die Krankenjournale und Manuskripte mitnehmen. Hier wären sie nicht sicher.«
»Mitnehmen? Die Krankenjournale?« Sébastien schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich – sie füllen mehrere große Kisten! Du müßtest sie als Frachtgut aufgeben, aber …«
»Niemals würde ich sie unbeaufsichtigt auf den Weg schicken!«
»Andernfalls brauchtest du eine Kutsche. Wie willst du das alleine bewerkstelligen? Es wäre viel zu gefährlich.« Er brach ab. Es war Wahnsinn! Eine Frau alleine! Mit einem deutschen Namen! Und schweres Gepäck im Wagen! Spätestens an der Grenze würde man sie aus der Kutsche zerren und ihrer Reise oder gar ihrem Leben ein Ende setzen.
Andererseits war ihm klar, daß Mélanie Samuels Vermächtnis wichtiger war als ihr eigenes Leben. Um die Journale außer Landes zu schaffen, würde sie alles riskieren.
Er seufzte. »Ich weiß, man kann dich nicht umstimmen, deshalb werde ich mit dir reisen.« Er dachte kurz nach, dann beschloß er: »Wir nehmen meine Kutsche und fahren noch heute nacht!«
»Nein.« Mélanie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht heute. Ich kann Paris nicht verlassen, ohne noch einmal bei Samuel gewesen zu sein. Ich möchte auch nicht, daß du dich meinetwegen in Gefahr bringst. Du bleibst hier, und ich werde eine Kutsche mieten.«
Sébastien nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah sie zärtlich an. »Du weißt, ich habe dich immer geliebt, und ich habe immer getan, was du von mir verlangt hast, aber dieses eine Mal tust du, was ich von dir verlange. Wir nehmen meine Kutsche, und ich begleite dich. Wenn es nicht anders geht, dann eben morgen früh, und ich bringe dich vorher noch zum Friedhof. Ich komme mit dir nach Deutschland und reise erst zurück, wenn ich dich in Sicherheit weiß!«
Lange und schweigend sahen sie sich in die Augen. Dann nickte Mélanie. »Gut. Ich bin einverstanden.«
Er ließ sie los, und ihr Kopf sank auf seine Brust. »Ich liebe dich auch, Sébastien, aber mein Herz war nie frei. Ich gehöre zu Samuel, und es wäre nicht richtig gewesen, wenn ich deine Frau geworden wäre.«
Er legte seine Hand auf ihren Rücken. Sie war groß und warm, und Mélanie schloß die Augen und lächelte. Für einen kleinen Moment war sie ganz und gar glücklich.
Als Sébastien gegangen war, schickte sie Anne-Marie, damit sie Joachim holte.
Es klopfte leise, und die beiden betraten den Salon.
Mélanie deutete auf das Polster neben sich. »Kommt, setzt euch zu mir an den Kamin.«
Joachim wollte lieber stehen bleiben, doch Mélanie beharrte darauf.
»Daß ich Frankreich für eine Weile verlassen werde, wißt ihr. Ich habe darüber nachgedacht, was mit meinen Sachen geschehen soll – und mit euch.« Sie sah Anne-Marie an. »Ich war sehr zufrieden mit dir und entlasse dich nur ungern aus meinen Diensten, aber ich weiß nicht, wann ich wiederkommen werde, und muß deshalb meinen Hausstand auflösen. Ich schreibe dir eine Referenz, so daß du eine gute Stellung finden wirst.«
Dann sah sie Joachim an. »Dich wollte ich bitten, all das, was ich hier lassen muß, in mein Haus nach Versailles zu bringen und dort zu wohnen und für alles zu sorgen, bis ich zurückkommen kann. Wenn du lieber eine andere Arbeit annehmen möchtest, bin ich dir natürlich nicht böse, doch es wäre mir recht, du würdest das Haus bewohnen und hegen, als ob es dein eigenes wäre.«
Joachim sah sie erschrocken an. »Aber, Madame, ich kann doch nicht in Ihrem Haus leben wie ein Herr.«
»Ach, was ist schon ein Herr!« Mélanie lächelte müde. »Ich habe in meinem Leben viele Herren gesehen, denen es gut angestanden hätte, einmal für ein Weilchen zu dienen. Warum also solltest du, der ein ganzes Leben lang treu gedient hat, nicht für ein paar Monate in meinem Haus leben wie ein Herr.«
Joachims Augen füllten sich mit Tränen. Seine runzligen Hände mit den von der Gicht gekrümmten Fingern zitterten, als er nach seinem Taschentuch griff und sich damit über das Gesicht fuhr.
Mélanie wandte sich wieder an Anne-Marie. »Ich werde ein paar Kleider und persönliche Gegenstände herauslegen, die du mir bitte einpackst. Auch die Uhr auf dem Kaminsims will ich mitnehmen. Von den Kleidern, die hierbleiben, sollst du dir nehmen, was du brauchen kannst. Wenn morgen sehr früh die Kutsche von Monsieur Colbert kommt, schafft das Gepäck und die Kisten mit den
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