Halskette und Kalebasse
unseren armen Tai auf dem Kai sah«, bemerkte er höhnisch, »hielt er dieses Ding für das Päckchen mit seinen zwanzig Silberstücken. Geschieht dem alten Geizhals ganz recht!« Er warf einen schnellen Blick über die Schulter auf den hohen Wandschirm aus Lattengitter. Dahinter saß ein Mann über einen Schreibtisch gebeugt. »Ich werde Ihnen den Weg zeigen, Doktor!«
Das Badezimmer befand sich im hinteren Teil der Herberge. Der Umkleideraum war leer, aber die Kleiderbündel, die dort herumlagen, und die rauhen Stimmen, die durch die Bambusschiebetüren drangen, verrieten, daß andere Gäste das Wasserbecken benutzten. Richter Di entledigte sich seiner Reitstiefel und legte sein Schwert, seine nasse Kappe und die Kalebasse auf das Kleidergestell. Er nahm die Brokatmappe mit dem Geld und seinen Papieren aus dem Ärmel und schob sie unter seine Kappe. Dann zog er sich aus und öffnete die Schiebetüren.
Das Geschrei kam von zwei nackten Männern, die sich vor dem großen versenkten Wasserbecken im Schattenboxen übten. Sie feuerten sich gegenseitig mit unflätigen Bemerkungen an. Beide waren kräftig gebaut und hatten die groben Gesichter von Berufsschlägern. Sie schwiegen sofort, als sie den Richter erblickten, und sahen ihn scharf an.
»Boxt weiter, aber haltet eure dreckigen Mäuler!« befahl eine strenge Stimme. Der Sprecher war ein wohlbeleibter Mann in mittleren Jahren, der auf der niedrigen Bank neben dem Becken saß. Der Badeaufseher, der hinter ihm stand, knetete kraftvoll seine wabbeligen Schultern. Als die beiden Schläger ihre Übung wieder aufnahmen, hockte Richter Di sich auf die schwarzen Steinfliesen und spülte sich mit einem Eimer heißen Wassers ab. Dann setzte er sich auf die Bank und wartete, bis die Reihe an ihn kam, von dem Badeaufseher abgeschrubbt zu werden.
»Woher kommen Sie, mein Herr?« erkundigte sich der ältere Mann neben ihm höflich.
»Aus der Hauptstadt. Mein Name ist Liang; ich bin Arzt.« Es wäre ungehörig gewesen, einem Mitbadenden keine höfliche Antwort zu geben. Das Bad ist der einzige Ort in einer Herberge, an dem die Gäste ganz ungezwungen miteinander verkehren.
Der andere musterte Richter Dis muskulöse Arme und seine breite Brust.
»Sie sind eine lebende Werbung für Ihre medizinischen Fähigkeiten, Doktor! Mein Name ist Lang Liu, aus dem Süden. Die beiden Tölpel sind meine Gehilfen. Ich bin... brr!« Er brach ab, denn der Badeaufseher hatte ihn mit kaltem Wasser abgespült. Er atmete tief ein. »Ich bin Seidenkaufmann, mache hier Urlaub. Hatte nicht mit solch gräßlichem Wetter gerechnet!«
Sie tauschten ein paar Bemerkungen über das Klima im Süden aus, während der Badeaufseher den Richter sauberschrubbte. Hierauf stieg dieser in das Becken und streckte sich im heißen Wasser aus.
Der Seidenkaufmann ließ sich trockenreiben, dann befahl er den beiden Boxern kurz: »Los, beeilt euch ein bißchen!« Sie trockneten sich schnell ab und folgten dem beleibten Mann unterwürfig in den Umkleideraum.
Richter Di überlegte, daß Lang eigentlich nicht wie einer dieser reichen Gauner aussah, von denen der Hauptmann gesprochen hatte. Er hatte sogar ein ziemlich vornehmes Aussehen mit seinen regelmäßigen, stolzen Gesichtszügen und dem Spitzbart. Und reiche Kaufleute reisten oft mit einer Leibwache. Das heiße Wasser entspannte seine steifen Glieder, aber nun merkte er, daß er Hunger bekam. Er stieg aus dem Becken und ließ sich vom Badeaufseher kräftig trockenreiben.
Seine beiden Satteltaschen standen in einer Ecke des Umkleideraums bereit. Als er die erste öffnete, um ein sauberes Gewand herauszunehmen, stutzte er plötzlich. Sein Assistent Ma Jung, der immer die Taschen für ihn packte, war ein ordentlicher Mann; aber diese Kleider waren nachlässig zusammengelegt. Rasch öffnete er die zweite Tasche. Seine Nachtgewänder, Filzschuhe und Ersatzkappen waren vollzählig vorhanden, aber auch an dieser Tasche hatte sich jemand zu schaffen gemacht. Er sah schnell unter seine Kappe auf der Kleiderablage. Aus der Brokatmappe fehlte nichts, aber eine Ecke seines neuen Ausweispapiers war naß.
»Neugieriger Bursche, dieser Herr Lang Liu«, murmelte er. »Oder vielleicht nur vorsichtig.« Er zog ein frisches, sauberes Unterkleid aus weißer Baumwolle an und darüber ein langärmeliges, dunkelgraues Gewand. Die Filzschuhe saßen sehr bequem an seinen müden Füßen. Die nassen Kleider und die schmutzigen Stiefel ließ er zurück, damit die Diener sich ihrer annehmen
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