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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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Erstes Kapitel
     
     
    Als Richter Di eine weitere Stunde durch den schweigenden, tropfenden Wald geritten war, hielt er sein Pferd an und warf einen sorgenvollen Blick auf das dichte Blattwerk über seinem Kopf. Er vermochte nur einen kleinen Flecken des bleiernen Himmels zu erkennen. Das Nieseln konnte jederzeit in einen Sommerregen übergehen; seine schwarze Kappe und sein schwarzgesäumtes, braunes Reisegewand waren schon völlig durchnäßt, und sein langer Bart glänzte feucht. Bei seinem Aufbruch vom Dorf um die Mittagsstunde hatte man ihm erklärt, daß er sich bei jeder Gabelung des Weges durch den Wald nur immer rechts halten sollte, dann würde er frühzeitig gegen Abend zum Essen in der Stadt am Fluß ankommen. Irgendwo mußte er falsch abgebogen sein, denn er war nun schon bald vier Stunden unterwegs, ohne etwas anderes als die hohen Bäume und das undurchdringliche Dickicht zu sehen und ohne einer Menschenseele zu begegnen. Die Vögel in den schwarzen Zweigen hatten aufgehört zu singen, und der Geruch feuchter, vermodernder Blätter schien sogar an seinen Kleidern zu haften. Während er sich mit einem Zipfel seines Halstuchs über Kinn-und Backenbart fuhr, überlegte er leicht mißgestimmt, wie unangenehm es wäre, wenn er wirklich den Weg verloren hätte, denn die Dämmerung brach bereits herein, und der Wald zog sich meilenweit am Südufer des Flusses hin. Es sah ganz danach aus, daß er die Nacht im Freien würde verbringen müssen. Mit einem tiefen Seufzer entkorkte er die große braune Kalebasse, die an einem mit roten Quasten verzierten Strick von seinem Sattel hing, und nahm einen Schluck. Das Wasser war lauwarm und schmeckte schal.
    Er neigte den Kopf und rieb sich die Augen. Sie brannten vom Schweiß, der von seiner feuchten Stirn tropfte. Als er wieder aufsah, erstarrte er und betrachtete ungläubig die mächtige berittene Gestalt, die ihm auf dem weichen Moos lautlos entgegenkam. Sein vollkommenes Ebenbild: ein Mann mit einem langen Vollbart, eine schwarze Kappe auf dem Kopf und in ein schwarzgesäumtes, braunes Reisegewand gehüllt. Von seinem Sattel hing an einem mit roten Quasten verzierten Strick eine große braune Kalebasse.
    Wieder rieb er sich die Augen. Als er ein zweites Mal hinsah, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Das schwache Licht und seine wunden Augen hatten ihn irregeführt. Der Bart des anderen war von grauen Streifen durchzogen, und er ritt einen alten, langohrigen Esel. Doch etwas anderes versetzte den Richter erneut in Alarmbereitschaft. Zwei kurze Speere lagen quer über dem Eselsrücken. Seine Hand bewegte sich zum Griff seines Schwertes, das er auf seinem Rücken trug.
    Der Mann hielt vor dem Pferd des Richters an und musterte ihn mit einem argwöhnischen Funkeln in seinen großen Augen. Sein breites Gesicht war voller Falten, und obwohl er eine gute Haltung hatte, traten seine knochigen Schultern unter dem abgetragenen, geflickten Gewand hervor. Was der Richter für Speere gehalten hatte, erwies sich nun als ein Paar Krücken mit gebogenen Enden. Er nahm die Hand von seinem Schwert und fragte höflich:
    »Ist dies der Weg zur Stadt am Fluß, ehrwürdiger Herr?«
    Der andere antwortete nicht sogleich. Seine Augen waren zu der Kalebasse gewandert, die von Richter Dis Sattel herabhing. Dann lächelte er, und während er den Richter mit seltsamen, glanzlosen Augen fixierte, sagte er mit einer überraschend klangvollen Stimme:
    »Ja, er wird Sie schließlich in die Stadt bringen, Doktor. Jedoch auf einem Umweg.«
    Der alte Mann hielt ihn offensichtlich für einen Arzt, wohl weil der Richter ganz allein reiste und wegen der Kalebasse, in der Ärzte für gewöhnlich ihre Arzneien transportierten. Bevor der Richter den anderen über seinen Irrtum aufklären konnte, fuhr dieser fort:
    »Ich komme gerade aus der Stadt, über die Abkürzung ein kleines Stück von hier. Ich zeige Ihnen gern den Weg, denn man braucht nur eine Viertelstunde.« Indem er seinen Esel wendete, murmelte er: »Wir sollten besser nach dem Mann sehen, den sie im Fluß gefunden haben. Er könnte Ihre Hilfe brauchen, Doktor.«
    Richter Di wollte schon sagen, er sei der Amtsrichter von Puyang, dem Bezirk im nördlichen Teil der Provinz, überlegte sich jedoch, daß er seiner Zufallsbekanntschaft dann ausführlich erklären müßte, warum er in einem so einfachen Aufzug und ohne Amtsgefolge unterwegs war. So fragte er statt dessen nur:
    »Welchen ehrenvollen Beruf üben Sie aus, mein Herr?«

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