Haltlos
irrte, würde es zu einer sehr peinlichen Begegnung kommen. Wie sie erklärte, dass sie sich ausversehen in der Tür geirrt hätte, würde ihr all ihre schauspielerischen Fähigkeiten abverlangen, gab es in diesem Gang überhaupt keine Mädchentoilette. Aber Tessa war sich sicher, dass sie sich nicht irrte. Sie würde ihren Bruder überall erkennen. Und da er eindeutig älter war, als die hiesigen Schüler, gab es für sie keinen Zweifel. Kurzeitig überlegte sie, ob es nicht besser wäre anzuklopfen bevor sie die Tür zu den Toiletten öffnete. Den Gedanken verwarf sie jedoch gleich wieder. Sie würde Lukas nur vorwarnen und der Überraschungseffekt wäre dahin. Tessa sammelte all ihren Mut zusammen als sie die Türklinke herunter drückte und mit einem Schwung die Tür aufstieß. Da stand er doch tatsächlich vor ihr. Lukas. „Was machst du hier, Lukas? Nicht nur, dass du KEIN Schüler dieser Schule bist, du hast auch ein Betretungsverbot für den gesamten Campusbereich, falls es dir entfallen sein sollte. Was hast du denn jetzt wieder vor?“ sie schüttelte verzweifelt den Kopf, als er nicht antwortete. „Herrje, Lukas, kannst du dich nur einmal, nur ein einziges Mal nicht in Schwierigkeiten bringen?“ „Komm schon T., halt die Klappe! Niemand will dein Geschwafel hören, kapiert? Ich habe hier sozusagen geschäftlich zu tun. Und nun bewegt deinen entzückenden Hintern hier raus, bevor ich ungemütlich werde.“ In Lukas Blick lag nichts Warmes. Reine Abscheu spiegelte sich in seinen Augen wider. „Oh nein, Du dealst nicht an meiner Schule! Hast Du Dir jetzt auch noch das letzte bisschen Hirn weggesoffen? Josh setzt alles dran, dich vor dem Knast zu bewahren und du Idiot arbeitest kein bisschen mit!“ „Heul‘ doch nicht gleich rum, und wenn du hier so ´nen Zirkus veranstaltest, ist es kein Wunder, wenn sie mich erwischen. Also T., du willst doch den armen Josh nicht mit ´nem Herzinfarkt ins Grab treiben, oder? Also scher` dich gefälligst endlich weg und kümmere dich um dein ach so perfektes Leben, Schwesterchen!“ Neid schwang in seiner Stimme mit, dabei hatte er ebenfalls die besten Voraussetzungen für ein sorgenfreies Leben gehabt. Aber Lukas fand Freude daran, den Menschen in seiner Umgebung Schmerzen zuzufügen und sie immer wieder zu verletzen. „Du mein Freund bewegst jetzt sofort deinen Hintern vom Schulgelände. Sonst-“ „Sonst was? Willst DU mir drohen?“ Lukas schnitt ihr das Wort ab und kam wie eine Raubkatze ihre Beute belauerte auf sie zu. „Nein, ich mache etwas viel besseres du Dreckskerl. Ich melde dich beim Rektor und bring dich persönlich in den Knast!“ Tessa taten ihre derben Worte im gleichen Moment leid, als sie aus ihr herausgesprudelt waren, dennoch verfehlten sie nicht ihre Wirkung. Lukas stockte, ein wenig unschlüssig, wie er reagieren sollte. Er starrte sie mit einer irrsinnigen Wut an und entschied sich dann jedoch für den Weg des geringsten Widerstandes und trat den geordneten Rückzug an. Beim Rausgehen, er musste direkt an Tessa vorbei, ließ er es sich jedoch nicht nehmen und rempelte sie so heftig an, dass sie ein paar Schritte zurückwich. „Komm mir beim nächsten Mal besser nicht mehr in die Quere, sonst geht es anders aus!“ Es waren eher hole Worte, als eine Drohung, dessen war sich Tessa bewusst. So sehr Lukas sie auch zu hassen schien, er würde ihr nie etwas Ernsthaftes antun, von den seelischen Schmerzen mal ganz abgesehen. Sie verstand lange Zeit nicht, warum er so etwas immer wieder machte, aber das musste sie auch nicht. Sie wollte es gar nicht begreifen, denn dann müsste sie sich wahrscheinlich von der Theorie „verletzter-großer-bruder-zurtrauerbewältigung-gänzlich-unfähig“ trennen und endlich einsehen, dass es keinen Sinn hatte, all seine Eskapaden mit dem Tod und dem Verlust ihrer Eltern zu rechtfertigen. Sie schüttelte den Kopf, sammelte sich noch ein paar Augenblicke bevor sie sich aus den Toilettenräumen schlich und rannte dann nun tatsächlich schnell zur Mensa. Sie wollte gar nicht daran denken, wie Amber einmal mehr vor Ungeduld platzte, aber alles war jetzt besser, als sich mit dem Thema Lukas zu beschäftigen. Doch statt ihr eine Szene zu machen und ihr das eigene Leid des sinnlosen Wartens zu predigen, hatte Amber für Tessa bereits ein Tablett mit Essen organisiert und einen freien Tisch besetzt. Zu Tessas Erstaunen war der Tisch diesmal wirklich vollkommen leer. Ein ungestörtes Mittagessen in der Schulmensa kannte
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