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Haltlos

Haltlos

Titel: Haltlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Benden
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Tschüss!“
    Jaromir und sie verließen die Wohnung und gingen zu seinem Auto. Galant öffnete er ihr die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen. Als er ihre Hand nahm, breitete sich in ihr das bekannte Kribbeln aus.
    Jaromir startete den Wagen und fuhr Richtung Hindenburgufer. „Du hast mit J einen sehr treuen Freund, wusstest du das, Victoria?“
    Sie sah ihn an. „Ja, wieso?“
    Er lächelte. „Du hattest recht damit, dass er sich sehr für meinen Wagen interessiert. Er wäre am liebsten gleich mit nach unten gekommen und hätte sich Karosserie, Innenraum und Motor genau angesehen. Aber wie zu erwarten war, bin ich ihm unheimlich. Das allein hätte ihn allerdings nicht davon abgehalten, mit mir über Lackpflege und technische Daten zu fachsimpeln, aber er hatte das Gefühl, er würde dich damit an mich verkaufen. Das wollte er auf gar keinen Fall. Er macht sich Sorgen, dass ich nicht gut für dich bin und das liegt weniger an der Tatsache, dass ich dein Professor bin, als viel mehr daran, dass ich Furcht in ihm auslöse. Er würde für dich kämpfen. Er hat in Gedanken sogar gedroht, mich fertig zu machen, sollte ich dir auch nur ein Haar krümmen!“
    Victoria blickte versonnen durch die Frontscheibe. „J ist wirklich ein toller Freund… Aber sag mal, liest du immer die Gedanken aller Menschen, die um dich herum sind?“ Je mehr sie darüber nachdachte, desto verstimmter wurde sie.
    Ein zerknirschter Gesichtsausdruck zeigte sich auf seinem Gesicht. „Es tut mir Leid Victoria. Es ist nicht so, dass ich lauschen würde. Gerade wenn euch Menschen etwas wirklich wichtig ist, Gefühle im Spiel sind oder ihr nicht entdeckt werden wollt, schreit ihr eure Gedanken häufig so laut heraus, dass ich keine Wahl habe; ich höre es ganz einfach. Genau aus diesem Grund will ich dir ja auch beibringen, deine Gedanken abzuschirmen. Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, ich würde dich ausspionieren.“
    Seine Worte versöhnten Victoria. „Tut mir leid, dass ich dich beschuldigt habe, zu lauschen. Ich muss mich einfach noch daran gewöhnen, dass du kein Mensch bist… dabei wirkst du so menschlich auf mich.“
    Seine Nähe löste bei ihr wie immer Wohlbehagen aus.
    Er lächelte. „Vielen Dank für das Kompliment. Ich habe jahrzehntelang geübt, um nicht aufzufallen.“
    Sie waren mittlerweile an der Förde angekommen und Victoria freute sich, das Wasser zu sehen. Sie liebte es in jeder Form: egal ob als Ozean, Meer, See, Fluss oder eben als Förde. Die Wellen und die Spiegelungen auf dem Wasser konnte sie stundenlang ansehen. Je nach Wetter erzeugte dieses faszinierende Element eine ganz unterschiedliche Stimmung. Bei Sturm war es wild und ungestüm und zeigte seine ganze Kraft. An einem anderen Tag war es wieder ruhig und fast so glatt wie ein Spiegel, der den Mond in Perfektion einfing. Dieser Anblick füllte sie immer mit Frieden und Glück. Wasser war einfach klasse.
    Jaromir sagte leise: „Dann wird dir der Blick aus dem Turmzimmer bestimmt gefallen.“
    „Du wohnst an der Förde?“
    „Nicht direkt, aber wir sind gleich da, dann wirst du es sehen.“
    Er bog nach rechts in die Lindenallee und folgte dann dem Düsternbrooker Weg. Rechts von ihnen lag ein kleines Waldstück und schon nach wenigen Metern begann dort eine hohe Backsteinmauer. Nach 200 Metern kamen sie an ein großes schmiedeeisernes Tor, das sich nun langsam öffnete. Der Weg machte auf dem Grundstück sofort eine Kurve und war von Büschen und Bäumen umsäumt, so dass man selbst jetzt, wo die Bäume noch nicht alle voll belaubt waren, nicht weit sehen konnte. Nach einer weiteren Kurve öffnete sich der Kiesweg überraschend zu einem kleinen Vorplatz und gab den Blick auf ein altes, verwinkeltes und abweisend wirkendes Fachwerkgebäude frei.
    Victoria hatte den Eindruck, vor Schloss Cecilienhof in Potsdam zu stehen, nur dass das Domizil hier deutlich kleiner war. Das Haus würde von der Größe her als stattliches Gutshaus durchgehen. Es hatte mehrere Erker und Türme. Der Eingang war großzügig überdacht, so dass man mit dem Wagen bequem vorfahren konnte und auch bei schlechtem Wetter nicht nass wurde. Das untere Geschoss war aus großen Natursteinen gemauert. Die Fenster und Türen hatten alle einen anmutig geschwungenen Sturz. Der erste Stock war sandfarben verputzt und mit dunkelbraunem Fachwerk ausgestattet. Der Übergang zwischen Naturstein und Putz war nicht geradlinig, sondern ungleichmäßig und nahm dem Gebäude die Strenge.

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