Hamburg Horror Noir - Halloween Special
werden konnte. Und der Polizei mangelte es an ausreichend ,sachdienlichen Hinweisen', bis sie letztes Jahr das Verfahren schließlich ganz einstellten. Aber damit endet die Geschichte noch nicht. Nicht für mich jedenfalls.
Es war wieder kurz vor Halloween, fast ein Jahr später. Bei einem meiner seltenen Ausgänge, wie ich sie nannte, erfuhr ich, dass keiner mehr auf Madlens Party gehen wollte. Aus Pietät oder einem anderen falschen Grund.
An demselben Tag erreichte mich ein Päckchen ohne Absender. Als ich es geöffnet hatte und in das Füllmaterial fasste, ertastete ich etwas Klebriges, eine unebene Plastik-Oberfläche. Ich zog das wabbelige, weiche Ding hervor und starrte in jenes Gesicht, das Larissa mir beschrieben hatte. Die Augen ohne Lider, Schlitze über den Wangen, die eitrige Nase. Nichts weiter als eine Maske. Dieser Wichser hatte die ganze Zeit eine zweite Maske unter der von Michael Myers getragen. Und für mich hatte er nun beide abgelegt.
Angewidert schmiss ich sie zu Boden. Ich wollte darauf herum trampeln, sie zerschneiden und verbrennen. Da erblickte ich den Zettel, der mit Klebeband an ihr befestigt war. Ich las ihn wieder und wieder, nur ein Satz darauf. Erst nach einer langen Weile wurde es mir klar. Es stand geschrieben: Jetzt bist du dran!
Auf der Rückseite des Zettels fand sich in beinahe unleserlicher Schrift eine Adresse, die ich nicht kannte. Irgendwo in Hamburg. Sie führte zu derselben Wohnung, in der ich nun verweile. Nach meinem Besuch nämlich am besagten Halloween wurde sie frei.
Diese Fratze zu sehen und zu wissen, der Mörder meiner Schwester hatte sie getragen, ließ mich verlangen, sie aufzusetzen. Es war ein gänzlich anderes Gefühl, sie zu tragen anstatt der Maske des Michael Myers. Ich fühlte mich darunter weder verschwitzt noch bekam ich Atemnot. Wie eine zweite Haut schmiegte sie sich an mein Gesicht. Du magst mir glauben oder nicht, aber als ich sie trug, verschwand zum ersten Mal mein Schmerz. Um diesen Zustand beizubehalten, war mir damals alles recht.
Ich fuhr zu dieser Adresse, ich stülpte die Maske des Michael Myers über die Fratze, ich fand ein einsames Mädchen in einem Kostüm.
Ich wurde zur Fratze.
Ein Jahr später schickte ich sie weiter, an einen anderen Party-Gast. Wer weiß, vielleicht erreicht sie eines Tages auch dich. Hätte sie denn einen Grund dazu?
Ende oder andere Erinnerung ?
Jetzt, da ich endlich beichtete, was ich getan habe, kann ich meine Maske verbrennen. Ich brauche sie nicht mehr zu tragen, verstehst du? Ich kann ehrlich sein. All die Jahre habe ich sie aufbewahrt, als ein letztes Souvenir meines alten Lebens.
Nie werde ich vergessen, was an jenem Halloween 2001 und auch danach geschehen ist. Dafür hast du gesorgt. Und sofern du dich jetzt angewidert von mir abwenden möchtest, kann ich dir nur sagen, mein Schmerz wird niemals vergehen. Die Strafe bleibt bestehen. Der Verlust meiner Schwester hat mich auf ewig gezeichnet, tiefer als mein eigenes Handeln.
Ich erinnere mich an diese Szene aus Rob Zombies Remake. Als der junge Michael Myers im Zimmer seiner Schwester jene Maske findet, die er später als Mann tragen wird. Seine Schwester wird zum ersten Opfer, das er so maskiert umbringt. Blutend und verletzt versucht sie vor ihm zu fliehen, aber er kriegt sie.
Michael kriegt sie alle, früher oder später.
Auch wenn ich meine Schwester nicht selbst umgebracht habe, nie wurde ich das Gefühl los, es waren doch meine eigenen Hände. Darum frage ich mich, wie sehr ich eigentlich mit dieser Fratze verbunden bin. Ich weiß es nicht und ich fürchte mich vor einer eindeutigen Antwort.
Jakob Richter, 17. Juli 2013
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F44.3
In den Augen das Blut
Für Carmen Weinand von Horror and more
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Luka hatte keine Angst im Dunkeln. Wenn er des nachts erwachte und seine Blase drückte, dann reichte ihm das Mondlicht. Er stieg aus dem Bett, schlaftrunken, der Traum einer wundersamen Reise hallte noch nach, und ging zu seiner Zimmertür. Er war stets ordentlich, dass nichts auf dem Boden liegen blieb, bevor er schlafen ging, und so stolperte er nicht, sondern folgte seinem Weg, den er so gut kannte. Er öffnete die Tür und eine schwärzere Dunkelheit lag vor ihm. Der Flur, in den das Mondlicht keinen Zugang fand. Er tastete sich an der Wand
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