Hamburg Horror Noir - Halloween Special
anhob, als würde er gleich zustechen wollen, und sagte:
„Hallo Mutter!“
Unbewusst hob Susanne eine Hand an ihren Mund und stieß ein leichtes Seufzen aus. Er klang so anders, dachte sie. Dann ließ er seine Arme sinken, die Klinge des Messers berührte den Boden, und er starrte vor sich hin.
„Was machst du da?“, fragte Susanne noch einmal und es kam ihr so überflüssig vor. Obwohl sie einen Pullover trug, wurde ihr plötzlich kalt. Und weil sie sah, dass Luka barfuß auf den Küchenfliesen stand, konnte sie sich endlich aus ihrer Starre lösen. Erst jetzt bemerkte sie ihre späte Reaktion. Sie dachte, sie hätte ihm schon längst das Messer abnehmen sollen. Aber sie hatte es nicht gekonnt. Etwas hatte sie davon abgehalten.
Nun beugte sie sich zu ihm hinunter, fasste nach dem Griff des Messers und nahm es vorsichtig an sich. Luka starrte weiter vor sich hin, aber zumindest schien die Dunkelheit aus seinen Augen verschwunden.
Dunkelheit, dachte sie, wie bescheuert.
Sie legte das Messer auf die Küchenplatte und hob Luka hoch. Für seine zehn Jahre war er noch relativ leicht. Susanne trug ihn ins Badezimmer. Sie durfte Jan nichts davon erzählen. Dass es wieder geschehen war. Dass Luka schon wieder so apathisch vor sich hin gestarrt hatte. Und diesmal sogar mit einem Messer in der Hand.
Das war neu, dachte sie, und es war beunruhigend.
Als er vor der Toilettenschüssel stand, erwachte der kleine Körper wieder zum Leben und Luka bat Susanne, die Tür zum Badezimmer zu schließen. Er wollte seine Privatsphäre, sagte er und grinste nun so, wie sie es kannte. Sie ahnte, dass er gar nicht mitbekommen hatte, was in der Küche geschehen war. Und um was es sich genau handelte, konnte auch sie nicht beantworten. Für ihren Sohn war dieser nur ein Morgen von vielen.
Wenigstens das, dachte sie.
Montag Mittag – Klassenzimmer
Die Geschichtsstunde hatte angefangen. Das einzige Fach, für das Luka keine Begeisterung aufbringen konnte. Sobald seine Lehrerin Frau Bach mit ihren Monologen begann – selten stellte sie eine Frage – war er gelangweilt und seine Gedanken schweiften ab. Er flüchtete dann in Geschichten, in Abenteuer, die in letzter Zeit hauptsächlich mit seinem Freund zu tun hatten. In ihnen konnte Luka gar nichts passieren, weil er ihn darin beschützte. Egal ob Monster oder Gangster oder bescheuerte Klassenkameraden, er hielt jedes Unheil von dem Jungen ab. Gut, Luka musste zugeben, dass auch sein Freund furchteinflößend wirken konnte in seiner Gestalt. Aber nicht für ihn. Er fürchtete sich eher vor den Szenarien, die in letzter Zeit seine Gedanken erfüllten, in denen Häuser brannten und Menschen aus hohen Stockwerken zu Boden stürzten; in denen es zu Kämpfen zwischen seinem Freund und namenlosen Kreaturen kam, die in Stücke zerfetzt wurden; in denen Luka Innereien und Blut entgegen spritzten.
Doch bevor er sich vor Ekel übergeben musste oder schreien, packte ihn sein Freund und zog ihn fort an hellere Orte, an denen Wiesen blühten und Tiere in friedlicher Koexistenz mit der Natur lebten. Hier mochte er es und er schätzte es umso mehr, weil er zuvor so Schreckliches gesehen hatte.
An jenem Montag Mittag aber wollte sich kein Gedankenfluss einstellen. Stattdessen starrte er nur zu Frau Bach, deren Brille häufig hinunter rutschte und die sie mit einer flinken Bewegung zurück schob, bevor sie auf das Pult knallen konnte. Luka sah zur Tafel, aber er verstand die Worte nicht. Oder doch. Zwar konnte er sie lesen, aber das konnte unmöglich Frau Bach geschrieben haben. Außerdem war die Schrift rot und Luka war sich sicher, dass sie nur weiße Kreide im Klassenraum hatten.
„Wollen wir spielen?“, stand dort und plötzlich wusste er, von wem diese Nachricht stammte. Wie es sein Freund geschafft hatte, von niemandem entdeckt zu werden, während er an die Tafel kritzelte, wusste er nicht, aber er wusste eine Antwort.
Ja, er hatte Lust zu spielen.
Dafür brauchte er nur zu nicken, das würde sein Freund schon erkennen. Es war ihm auch gleich, was sie spielen würden, Hauptsache er entkam der Langeweile und Frau Bachs monotoner Stimme.
Dann begann eine Veränderung, die ihn zugleich mit Staunen und Schrecken füllte. Er saß weiterhin auf seinem Stuhl im Klassenzimmer, aber sein Körper fühlte sich plötzlich so leicht an oder als würde ein Teil sich von ihm lösen und entkommen wollen. Er war nur noch eine Gestalt in seinem eigenen Körper und dann spürte er die andere Gestalt,
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