Hamburg Horror Noir - Halloween Special
unserem Dorf hatten das Spiel nie ganz verstanden. Als Teenager waren Partys angesagt, auf denen wir Alkohol trinken und uns für das andere Geschlecht aus den Augen verlieren würden. So symbiotisch wie wir aufgewachsen waren, zweieiige Zwillinge waren wir, so sehr sehnten wir uns nach fremden, zärtlichen Berührungen, die über das Streicheln des Rückens und Küsschen auf die Wange hinaus gingen. Es war auf Madlens Halloween-Party, dass wir beide unsere Unschuld verloren, als hätten wir uns abgesprochen.
Mit unserer Volljährigkeit änderte sich noch mehr. Nicht nur, dass wir endlich den Führerschein machten und uns eine gemeinsame Wohnung suchten. Vor allem war es uns nun erlaubt, in Videotheken zu stöbern. Wir mussten uns nicht mehr auf die Auswahl des Arbeitskollegen unseres Vaters verlassen. Und noch mehr, wir durften uns die Filme legal kaufen. Damals gab es noch nicht diese Angebote. Besonders nicht zu Filmen, die man ungeschnitten, mit jeder noch so blutrünstigen Szene haben wollte. Man gab so viel Geld dafür aus, das heute für fünf Filme reicht. Doch Larissa und ich, wir wollten das ganz große Kino für Zuhause. Von unseren ersten Gehältern ersparten wir uns eine Laserdisc-Anlage, das Beste, was damals zu haben war. Und jetzt rate mal, welchen Film wir uns als erstes für dieses Medium besorgten.
Ich werde diesen Tag nicht vergessen. Trotz unseres Alters nun – ich glaube, wir waren zwanzig – und trotz der Ernsthaftigkeit, mit der uns das Leben jetzt begegnete – unsere Mutter litt seit geraumer Zeit an Brustkrebs und Vater verlor gerade seine Arbeitsstelle – wurden wir für diesen einen Moment in unsere Kindheit zurück versetzt. Wie sehr wir uns stets gefreut hatten, wenn unser Vater neue Filme mit nach Hause brachte, Nightmare und American Werewolf , Basket Case und American Monster , Die Todesparty und Hellraiser – doch noch tiefer war diese Art von Freude, als wir die Laserdisc von Halloween in der Hand hatten. Die Erfüllung eines lang gehegten Traumes.
Aber da war noch etwas anderes, das unseren Kauf erst vollkommen machte. Der Laden, in dem wir unsere Filme erwarben, verfügte auch über ein Regal voll Merchandising. Etwas, das du heute im weiten Netz auf Knopfdruck bestellen kannst, schien damals noch für gewöhnliche Menschen in Deutschland unerreichbar – außer du warst ein Star Wars -Fan, aber das waren meine Schwester und ich nie. Damals war es noch etwas Besonderes, Freddys Krallen in die Hand zu nehmen oder sie sogar anzuziehen und Leatherface im Miniaturformat zu erblicken, wie er seine Kettensäge schwang, oder Pinhead mit dem Würfel in seinen Händen. Und da waren auch diese Masken.
Ich sagte ja, alles beginnt mit einer Maske.
Passend zu unserer ersten Laserdisc kaufte ich mir vom Geld, das für das Sparen auf ein Auto bestimmt gewesen war, Michaels Myers Halloween-Maske. Ja, damit begann es. Mit dieser verfluchten Maske. So oft habe ich mir in den letzten Jahren gewünscht, sie niemals gekauft zu haben. Manchmal wünsche ich mir sogar, dass es diesen Laden nie gegeben hat. Aber wenn du es realistisch haben willst, zumindest hätte ich verhindern können, diese Maske zu tragen. Doch wer konnte es ahnen? Ich nicht, wir beide nicht. Du vielleicht? Weißt du, was kommt? Oder glaubst du es nur zu wissen?
Wir verließen nie unser Dorf. Und unsere Eltern waren so tief mit der Umgebung verbunden, dass sie nie auf den Gedanken gekommen wären. Auch Madlen zog nicht weg und ihre Partys zu Halloween erlangten einen gewissen Ruf in unserem Dorf und seiner Umgebung. Jeder unter Dreißig fühlte sich an jenem Abend dazu aufgerufen, dorthin zu gehen. Man könnte sagen, Madlens Feier etablierte das Fest, zumindest bei uns. Ihre Eltern gewährten der feiernden Masse stets uneingeschränkten Zugang, außer in ihr Schlafzimmer natürlich, in dem Larissa aber damals ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, so wie ich meine in Madlens Bett.
Es war das Jahr von Scream , als ich zum ersten Mal die Maske des Michael Myers trug. Das muss 1997 gewesen sein, als die Hommage an das Slasher-Genre auf die Leinwand kam. Es war auch das Jahr, in dem Madlen aus ihrer Feier ein größeres Ereignis machte – mit einer Leinwand, auf der Klassiker gezeigt wurden, tonlos während Musik spielte, außer bei Halloween , den die meisten Gäste gebannt verfolgten, während vereinzelt Pärchen irgendwo rummachten.
Im Esszimmer fand sich eine lange Buffet-Tafel, auf der neben den obligatorischen
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