Handyman Jack 08 - Der schwarze Prophet
Abgesehen von einer frischen Wunde links neben ihrer Wirbelsäule, aus der rötliche Flüssigkeit sickerte, war ihr Rücken eine genaue Kopie von Anyas Rückansicht.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Dies ist ein Zeugnis meiner Schmerzen«, sagte sie über die Schulter.
»So was hat auch Anya gesagt. Sie nannte es einen Plan der Versuche des Widersachers, sie zu vernichten. Warum?«
»Weil er niemals siegen kann, solange ich noch am Leben bin.«
Obwohl es völlig verrückt klang, glaubte Jack ihr aufs Wort.
»Aber wer sind Sie?«
»Ihre Mutter.«
Jack kämpfte gegen den Impuls an, laut zu brüllen, und sagte mit leiser Stimme: »Nicht das schon wieder. Sehen Sie …«
»Nein. Sie sehen. Schauen Sie sich meinen Rükken genau an.«
»Wenn Sie diese frische Wunde meinen, die sehe ich.« Die Erkenntnis traf ihn mit brutaler Härte. »Die Säule draußen in Pennsylvanien! Sie meinen, jedes Mal, wenn Brady und seine Bande eine dieser Säulen vergraben …«
»Spüre ich es. Und blute.«
Jack musste sich hinsetzen. »Das verstehe ich nicht.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Aber sehen Sie genau hin und sagen Sie mir, ob Sie irgendeinen Unterschied erkennen.«
Jack gehorchte und entdeckte etwas, das er bei Anya nicht gesehen hatte: eine Vertiefung am Ende ihres Rückens, groß genug für zwei seiner Finger. Er streckte die Hand danach aus, dann zog er sie schnell wieder zurück.
Herta bewegte die Schultern und lehnte sich ihm entgegen. »Nur weiter. Berühren Sie es. Es ist längst verheilt.«
Jack verspürte einen Anflug von Übelkeit. »Nein, ich glaube nicht …«
»Legen Sie Ihre Finger in die Wunde. Sie beißt nicht.«
Jack streckte noch einmal die Hand aus und schob seinen Zeigefinger in die Vertiefung. Sie war sehr tief; er spürte keinen Widerstand an der Fingerspitze.
Er schob den Finger weiter bis zum zweiten Knöchel. Und noch immer wurde seine Fingerspitze nicht gebremst.
Jack konnte sich nicht überwinden, den Finger noch tiefer hineinzustoßen. Er zog ihn zurück und beugte sich vor, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie tief dieses Loch wirklich war. Vielleicht würde er dann …
Er hob ruckartig den Kopf. »Jesus Christus!«
»Auch er hatte nichts damit zu tun.«
Hatte er tatsächlich gesehen, was er gesehen zu haben glaubte? Nein. Unmöglich.
Aber andererseits, der Begriff »unmöglich« hatte schon vor langer Zeit jegliche Bedeutung für ihn verloren.
Jack schaute ein weiteres Mal in die Öffnung. Er erblickte einen mit Narben gefüllten Tunnel und, an seinem fernen Ende, Licht. Tageslicht. Ein rundes Bild mit blauem Himmel und fernen Gebäuden.
Mein Gott, er hatte das Flussufer des East River in Queens vor sich, betrachtete es durch ein Loch, das mitten durch Hertas Körper verlief. Jack lehnte sich zurück und zur Seite und blickte auf das breitere – gleiche – Panorama, das sich ihm durch das große Wohnzimmerfenster darbot. Es war, als sei Herta mit einem Speer durchbohrt worden und als hätte diese Wunde sich nicht geschlossen – der Wundkanal selbst war verheilt, ja, aber zurückgeblieben war ein offener Tunnel quer durch ihren Körper.
»Wer – oder was hat das bewirkt?«
»Anyas Tod«, antwortete Herta und zog sich die Bluse wieder über die Schultern.
»Das muss …«
»Es war schrecklicher als alles, was ich je habe ertragen müssen. Viel schlimmer als die Schmerzen, die jede Säule hervorruft.«
Jack hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden.
»Warum können Ihnen diese Säulen Schaden zufügen? Wer sind Sie?«
»Ich sagte es Ihnen bereits: Ich bin Ihre …«
»Bitte, sagen Sie nicht schon wieder ›Mutter‹.«
»Dann sage ich nichts, denn das ist einzige Wahrheit.«
Er versuchte es aus einer anderen Richtung.
»Wenn jede Säule bei Ihnen eine Wunde erzeugt, kann ich verstehen, weshalb Sie wollen, dass Brady das Handwerk gelegt wird. Aber wenn er das Opus vollendet, dann wäre dies auch für Sie von einem gewissen Nutzen. Ich meine, Sie brauchten dann keine Schmerzen, hervorgerufen durch weitere Säulen, mehr zu ertragen.«
Herta nickte und wandte ihm wieder ihr Gesicht zu, während sie die letzten Knöpfe ihrer Bluse schloss. Sie fixierte ihn mit ihren dunklen Augen.
»Ja, ich glaube, das mit den Schmerzen, die ich nicht mehr erleiden muss, trifft zu. Weil ich dann nicht mehr leben werde. Der einzige Zweck des Opus Omega ist, mich zu töten.«
14
Im Verhörzimmer herrschte atemlose Stille, während Luther Brady auf die Fotos starrte und das
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