Happy Family
sehen konnte, was für eine traumhafte Karriere sie gemacht hatte.
«Die Buchpremiere wird ein ganz großes Event», erklärte Lena begeistert. «Mit tollem Essen. Und wilden Monster-Kostümen. Weißt du was, bring doch deine Familie mit! Dann kann ich sie mal kennenlernen.»
«Das mache ich!», antwortete ich lachend. Zum einen freute ich mich wegen der großen Chance. Zum anderen dachte ich mir: Wenn Lena meine Familie sieht, würde sie vielleicht neidisch auf mich werden. Schließlich war eine Familie das Einzige, was ich hatte und sie nicht! Und wenn Lena neidisch war … na ja, dann müsste ich nicht mehr so neidisch auf sie sein.
Lena verabschiedete sich mit zwei angedeuteten Wangenküsschen und rauschte aus meinem Laden raus. Kaum war sie draußen, hörte ich die Spülung. Cheyenne kehrte von der Toilette zurück und stellte fest: «Vergiss es, die Tussi ist glücklicher als du.»
Doch ich erwiderte entschlossen: «Das wollen wir doch mal sehen!»
[zur Inhaltsübersicht]
FEE
Ich wäre so gerne ein Hohltier gewesen.
Seit Wochen langweilte unser bescheuerter Biolehrer uns mit Meeresquallen und anderen Hohltieren und versuchte dabei verzweifelt, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass es irgendwie wichtig wäre, über diese Lebewesen Bescheid zu wissen. Was für eine verschwendete Zeit für uns alle! Denn selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass man mal in ferner Zukunft als Erwachsene in einem Sessel sitzt und tatsächlich denken sollte: Mann, ich würde jetzt aber wirklich zu gerne wissen, wie diese blöden Hohltiere sich vermehren!, könnte man dann ja immer noch bei Wikipedia nachschlagen oder auf irgendeiner hundertmal besseren Internetnachschlageseite, die es bis dahin garantiert gab.
Heute aber dachte ich das erste Mal richtig über die Hohltiere nach. Die hatten es eigentlich tierisch gut. So ein Hohltier hatte keine nölende Mutter, keinen gestressten Vater, keinen abnervenden Bruder und keinen Unterricht, in dem es mit Hohltieren angeödet wird.
Vor allen Dingen aber konnte so ein Hohltier nicht sitzenbleiben, nur weil es keine Ahnung von Hohltieren hatte.
Papa würde auf meine Ehrenrunde wohl eher desinteressiert reagieren, er war ja in seinem Bankjob so überarbeitet, dass er vermutlich noch nicht mal wusste, in welcher Klasse ich war. Mama aber würde sicherlich zur «Psycho-Mum» mutieren. Ständig hing sie mir in den Ohren damit, dass ich an meine Zukunft denken solle. Natürlich meinte sie es damit nur gut, das war mir schon klar, ich war ja nicht völlig verblödet. Aber je mehr sie die Dinge in ihrem Nölton vortrug, desto weniger Bock hatte ich, auf sie zu hören. Wenn man bei Wiki den Begriff «kontraproduktiv» eingeben würde, käme als Ergebnis bestimmt ein Foto meiner Mutter. Und überhaupt, wie sollte ich an meine Zukunft denken, wenn ich kaum die Gegenwart geregelt bekam?
Die Gegenwart saß zwei Reihen vor mir, hieß Jannis, war ein ziemlich guter Gitarrist und sah aus wie Pete Doherty, nur deutlich gesünder. Mit Jannis hatte ich gestern nicht nur gekifft, sondern auch in seinem Übungsraum auf dem Sofa herumgeknutscht. Allerdings bin ich nicht die volle Distanz mit ihm gegangen. Zum einen, weil ich noch nie mit einem Typen geschlafen hatte, und zum anderen, weil ich nicht wusste, wie ernst es Jannis mit mir überhaupt meinte.
Dabei wäre es ziemlich schön gewesen, wenn er was von mir gewollt hätte, denn er war echt zärtlich, besonders in dem Augenblick, als er sanft meine beiden Schmetterlings-Tattoos auf den Schultern geküsst hatte. (Die Jungs, die ich davor hatte, waren nicht ansatzweise so geschickt gewesen wie Jannis. Die einen hatten sich nicht getraut, mich anzufassen, andere wiederum hatten meine Brüste mit Knetgummi verwechselt.)
Leider war Jannis dafür berühmt, es mit Frauen so ernst zu meinen wie Dracula. Und selbst wenn er jemals eine aufrichtig lieben sollte, dann war das bestimmt nicht ich. Die Kerle, in die ich mich verknallte, ließen mich gerne mal sitzen.
Mit dieser Jannis-Geschichte war ich also auf dem besten Wege, unglücklich zu werden. Aber obwohl ich das wusste, konnte ich nicht gegen meine Gefühle ankämpfen. Die Hohltiere hatten es auch in einer anderen Hinsicht gut: Sie hatten keine Hormone.
Hormone sind doof.
Man sollte sie abschaffen.
Oder ins Gefängnis sperren.
Da gehören sie hin, diese beknackten Hormone. Wären sie hinter Gitter, müsste ich mich nicht andauernd mit der Gegenwart rumschlagen, sondern könnte mich
Weitere Kostenlose Bücher