Harry Potter - Gesamtausgabe
Sogleich kam ihm ein Gegenstand nach dem anderen zwischen die Finger: Er spürte die Lederrücken der Bücher, Ärmel von Wollpullovern, Absätze von Schuhen –
»Schnell!«
Er packte seinen Zauberstab, der auf dem Boden lag, und zielte in die Tiefen der magischen Tasche.
»Accio Diptam!«
Eine kleine braune Flasche flog aus der Tasche heraus; er fing sie auf und hastete zurück zu Hermine und Ron, dessen Augen jetzt halb geschlossen waren, nur ein Streifen des weißen Augapfels war zwischen seinen Lidern zu sehen.
»Er ist ohnmächtig geworden«, sagte Hermine, die auch ziemlich blass war; sie sah nicht mehr wie Mafalda aus, obwohl ihr Haar noch stellenweise grau war. »Zieh den Korken für mich raus, Harry, meine Hände zittern.«
Harry riss den Korken von der kleinen Flasche, Hermine nahm sie und träufelte drei Tropfen von dem Zaubertrank auf die blutende Wunde. Grünliche Rauchschwaden stiegen auf, und als sie sich verzogen hatten, sah Harry, dass die Blutung aufgehört hatte. Die Wunde wirkte jetzt, als wäre sie mehrere Tage alt; neue Haut spannte sich über das eben noch nackte Fleisch.
»Wow«, sagte Harry.
»Das ist aber auch schon alles, bei dem ich mich sicher fühle«, sagte Hermine mit zittriger Stimme. »Es gibt Zauber, die ihn ganz gesund machen würden, aber an die traue ich mich nicht ran, vielleicht mache ich was falsch und richte noch mehr Schaden an … er hat ohnehin schon so viel Blut verloren …«
»Wie hat er sich verletzt? Ich meine«, Harry schüttelte den Kopf, um vielleicht auf klare Gedanken zu kommen und sich einen Reim darauf zu machen, was immer hier auch geschehen war, »warum sind wir hier? Ich dachte, wir würden zum Grimmauldplatz zurückkehren?«
Hermine holte tief Luft. Sie schien den Tränen nahe.
»Harry, ich glaube nicht, dass wir dorthin zurückgehen können.«
»Was meinst du –?«
»Als wir disappariert sind, hat sich Yaxley an mir festgehalten, und ich konnte ihn nicht loswerden, er war zu stark, und er war immer noch da, als wir am Grimmauldplatz ankamen, und dann – also ich glaube, er muss die Tür gesehen und gedacht haben, wir würden dort anhalten, deshalb hat er seinen Griff gelockert, und ich konnte ihn abschütteln und hab uns stattdessen hierhergebracht!«
»Aber wo ist er dann? Wart mal … du meinst doch nicht etwa, dass er im Haus am Grimmauldplatz ist? Da kann er doch nicht rein?«
In ihren Augen glitzerten Tränen, als sie nickte.
»Harry, ich glaube, er kann es. Ich – ich hab ihn mit einem Verekelfluch gezwungen, loszulassen, aber da hatte ich ihn schon in den Schutz des Fidelius-Zaubers mit hineingenommen. Seit Dumbledores Tod sind wir Geheimniswahrer, also hab ich ihm das Geheimnis weitergegeben, oder?«
Da war nichts zu beschönigen; Harry war sicher, dass sie Recht hatte. Es war ein schwerer Schlag. Wenn Yaxley jetzt ins Haus gelangen konnte, kam es überhaupt nicht in Frage, dass sie zurückkehrten. Gerade jetzt apparierte er vielleicht mit anderen Todessern, um sie dort hineinzubringen. Das Haus war zwar düster und bedrückend, doch es war ihr einziger sicherer Unterschlupf gewesen: jetzt, da Kreacher so viel glücklicher und freundlicher geworden war, sogar eine Art Zuhause. Mit schmerzlichem Bedauern, das nichts mit Essbarem zu tun hatte, stellte Harry sich den Hauselfen vor, wie er emsig die Steak-und-Nieren-Pastete vorbereitete, die Harry, Ron und Hermine nie verspeisen würden.
»Harry, es tut mir leid, es tut mir so leid!«
»Sei nicht albern, es war nicht deine Schuld! Wenn überhaupt, dann meine …«
Harry fuhr mit der Hand in seine Tasche und zog Mad-Eyes Auge hervor. Hermine schreckte mit entsetztem Blick zurück.
»Umbridge hatte es in ihre Tür gesteckt, um Leute auszuspionieren. Ich konnte es nicht dort lassen … aber dadurch haben sie erfahren, dass Eindringlinge da waren.«
Ehe Hermine antworten konnte, stöhnte Ron und öffnete die Augen. Er war immer noch grau und sein Gesicht glänzte vor Schweiß.
»Wie geht es dir?«, flüsterte Hermine.
»Mies«, krächzte Ron und zuckte zusammen, als er seinen verletzten Arm spürte. »Wo sind wir?«
»In den Wäldern, wo die Quidditch-Weltmeisterschaft stattgefunden hat«, sagte Hermine. »Ich wollte etwas Geschütztes, Geheimes haben, und das war –«
»– der erste Ort, der dir eingefallen ist«, sprach Harry für sie zu Ende, während er einen raschen Blick über die offensichtlich verlassene Lichtung warf. Unwillkürlich musste er daran denken, was beim
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