Harry Potter und der Halbblutprinz
die Prüfung in zwei Wochen abzulegen. Harry sah ihnen ziemlich neidisch dabei zu, wie sie sich für den Gang ins Dorf fertig machten; er vermisste die Ausflüge dorthin, und es war ein besonders schöner Frühlingstag, mit einem klaren Himmel, wie sie ihn seit langem nicht mehr erlebt hatten. Er hatte jedoch beschlossen, die Zeit zu nutzen und erneut zu versuchen, den Raum der Wünsche zu stürmen.
»Es wäre besser«, sagte Hermine, als Harry ihr und Ron diesen Plan in der Eingangshalle anvertraute, »wenn du geradewegs in Slughorns Büro gehen und versuchen würdest, diese Erinnerung von ihm zu bekommen.«
»Ich hab’s doch versucht!«, sagte Harry ärgerlich, was absolut der Wahrheit entsprach. Nach jeder Zaubertrankstunde in dieser Woche war er noch dageblieben, um Slughorn zu bedrängen, aber der Zaubertrankmeister verließ den Kerker immer so schnell, dass Harry ihn nicht zu fassen bekam. Zweimal war Harry zu seinem Büro gegangen und hatte geklopft, aber keine Antwort bekommen, auch wenn er beim zweiten Mal sicher gewesen war, die rasch abgewürgten Töne eines alten Grammofons gehört zu haben.
»Er will nicht mit mir reden, Hermine! Er weiß genau, dass ich wieder versuche, ihn unter vier Augen zu sprechen, und er wird es nicht zulassen!«
»Nun ja, du musst einfach dranbleiben, oder?«
Die kurze Schlange von Schülern, die darauf warteten, an Filch vorbeizugehen, der sie wie üblich mit dem Geheimnis-Detektor pikste, rückte ein paar Schritte vorwärts, und Harry gab keine Antwort, da ihn der Hausmeister womöglich hören konnte. Er wünschte Ron und Hermine Glück, dann drehte er sich um und stieg wieder die Marmortreppe hoch, fest entschlossen, ein bis zwei Stunden dem Raum der Wünsche zu widmen, was immer Hermine auch sagte.
Sobald man ihn von der Eingangshalle aus nicht mehr sehen konnte, zog Harry die Karte des Rumtreibers und den Tarnumhang aus seiner Tasche. Nachdem er sich unsichtbar gemacht hatte, tippte er gegen die Karte, murmelte: »Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin«, und suchte sie sorgfältig ab.
Da es Sonntagmorgen war, waren fast alle Schüler in ihren jeweiligen Gemeinschaftsräumen, die Gryffindors in einem Turm, die Ravenclaws in einem anderen, die Slytherins in den Kerkern und die Hufflepuffs im Keller in der Nähe der Küchen. Vereinzelt schlängelten sich Leute durch die Bibliothek oder gingen einen Korridor entlang … einige waren draußen auf dem Gelände … und dort, allein im Korridor im siebten Stock, war Gregory Goyle. Vom Raum der Wünsche war keine Spur zu sehen, doch darüber machte sich Harry keine Gedanken; wenn Goyle davor Wache stand, dann war der Raum offen, ob die Karte davon wusste oder nicht. Deshalb spurtete er die Treppen hoch und wurde erst langsamer, als er die Ecke zum Korridor erreicht hatte; von dort aus schlich er ganz langsam auf ebenjenes kleine Mädchen zu, das die Messingwaage fest umklammert hielt und dem Hermine zwei Wochen zuvor so freundlich geholfen hatte. Er wartete, bis er direkt hinter ihr war, dann beugte er sich ganz tief hinunter und flüsterte: »Hallo … du bist aber hübsch, nicht wahr?«
Goyle stieß einen schrillen Angstschrei aus, warf die Waage in die Luft, rannte davon und verschwand, lange bevor der Lärm der zerschellenden Waage im Korridor verhallt war. Harry drehte sich lachend um und betrachtete die kahle Wand, hinter der jetzt sicher Draco Malfoy zur Salzsäule erstarrt war, wohl wissend, dass ein unwillkommener Besucher draußen stand, aber ohne den Mut, sich zu zeigen. Harry verspürte ein höchst angenehmes Gefühl der Macht, während er sich zu erinnern versuchte, welche Formulierungen er noch nicht ausprobiert hatte.
Doch seine optimistische Stimmung hielt nicht lange an. Eine halbe Stunde später, nachdem er viele weitere Varianten seines Wunsches ausprobiert hatte, um herauszufinden, was Malfoy trieb, war die Wand genauso türlos wie zuvor. Harry war maßlos enttäuscht; Malfoy war vielleicht nur ein, zwei Schritte von ihm entfernt, und er hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, was er dort drin tat. Er verlor völlig die Geduld, rannte gegen die Wand und versetzte ihr einen Tritt.
» AUTSCH !«
Er dachte, er hätte sich einen Zeh gebrochen; als er ihn auf einem Fuß hoppelnd fest umklammerte, rutschte ihm der Tarnumhang herunter.
»Harry?«
Er wirbelte auf einem Bein herum und kippte vornüber. Zu seinem größten Erstaunen sah er Tonks auf sich zukommen, als ob sie des Öfteren durch
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