Harry Potter und der Halbblutprinz
ihre Becher nachzufüllen.
»Ich – ich denke nicht, dass Sie sich daran erinnern, Harry?«, fragte er peinlich berührt.
»Nein – also, ich war erst ein Jahr alt, als sie starben«, sagte Harry und starrte auf die Flamme der Kerze, die unter Hagrids mächtigen Schnarchern flackerte. »Aber ich hab seither ziemlich viel darüber rausgefunden, was passiert ist. Mein Dad ist als Erster gestorben. Haben Sie das gewusst?«
»Ich – nein«, erwiderte Slughorn mit gedämpfter Stimme.
»Jaah … Voldemort hat ihn umgebracht und ist dann über seine Leiche gestiegen, auf meine Mutter zu«, sagte Harry.
Slughorn erschauderte heftig, schien jedoch nicht fähig zu sein, seinen entsetzten Blick von Harrys Gesicht abzuwenden.
»Er wollte, dass sie aus dem Weg geht«, sagte Harry unbarmherzig. »Er hat mir gesagt, dass sie nicht hätte sterben müssen. Er wollte nur mich. Sie hätte fliehen können.«
»O Himmel«, hauchte Slughorn. »Sie hätte … es wäre nicht … das ist furchtbar …«
»Ja, nicht wahr?«, sagte Harry beinahe flüsternd. »Aber sie hat sich nicht vom Fleck gerührt. Dad war schon tot, aber sie wollte nicht, dass ich auch sterbe. Sie hat es damit versucht, Voldemort anzuflehen … aber er hat nur gelacht …«
»Genug!«, sagte Slughorn plötzlich und hob eine zitternde Hand. »Wirklich, mein lieber Junge, es reicht … ich bin ein alter Mann … ich muss mir nicht anhören … ich will mir nicht anhören …«
»Ich hab ja ganz vergessen«, schwindelte Harry, von Felix Felicis geleitet, »Sie haben sie gemocht, nicht wahr?«
»Sie gemocht?«, sagte Slughorn und von neuem schwammen seine Augen in Tränen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, der sie kennen gelernt hat, sie nicht mochte … sehr mutig … sehr lustig … es war das Schrecklichste …«
»Aber ihrem Sohn wollen Sie nicht helfen«, sagte Harry. »Sie hat ihr Leben für mich gegeben, aber Sie wollen mir keine Erinnerung geben.«
Hagrids polterndes Schnarchen erfüllte die Hütte. Harry blickte unverwandt in Slughorns tränenfeuchte Augen. Der Zaubertrankmeister schien außerstande wegzusehen.
»Sagen Sie das nicht«, flüsterte er. »Es geht nicht um … wenn es Ihnen helfen würde, natürlich … aber es hat keinerlei Nutzen …«
»Das hat es sehr wohl«, sagte Harry deutlich. »Dumbledore braucht Informationen. Ich brauche Informationen.«
Er wusste, dass er auf der sicheren Seite war: Felix flüsterte ihm ein, dass Slughorn sich am Morgen nicht mehr daran erinnern würde. Harry sah Slughorn direkt in die Augen und beugte sich ein wenig vor.
»Ich bin der Auserwählte. Ich muss ihn töten. Ich brauche diese Erinnerung.«
Slughorn wurde blasser als je zuvor; auf seiner glänzenden Stirn glitzerte der Schweiß.
»Sie sind der Auserwählte?«
»Natürlich bin ich das«, sagte Harry ruhig.
»Aber dann … mein lieber Junge … Sie verlangen eine Menge … Sie verlangen von mir genau genommen, dass ich Ihnen bei Ihrem Versuch helfe, ihn zu vernich–«
»Wollen Sie den Zauberer, der Lily Evans getötet hat, nicht loswerden?«
»Harry, Harry, natürlich will ich das, aber –«
»Sie haben Angst, dass er herausfindet, dass Sie mir geholfen haben?«
Slughorn sagte nichts; die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Seien Sie mutig wie meine Mutter, Professor …«
Slughorn hob eine dickliche Hand und drückte sich die zitternden Finger auf den Mund; einen Moment lang sah er aus wie ein gewaltiges Riesenbaby.
»Ich bin nicht stolz …«, flüsterte er durch seine Finger. »Ich schäme mich für das – für das, was diese Erinnerung zeigt … Ich glaube, ich habe an diesem Tag womöglich großen Schaden angerichtet …«
»Sie würden alles wiedergutmachen, was Sie getan haben, wenn Sie mir die Erinnerung geben«, sagte Harry. »Es wäre eine sehr mutige und edle Tat.«
Hagrid zuckte im Schlaf und schnarchte weiter. Slughorn und Harry starrten einander über die tropfende Kerze hinweg an. Ein langes, langes Schweigen trat ein, aber Felix Felicis sagte Harry, dass er es nicht unterbrechen, sondern abwarten solle.
Dann, ganz langsam, steckte Slughorn die Hand in seine Tasche und zog seinen Zauberstab hervor. Mit der anderen Hand langte er in seinen Umhang und holte eine kleine leere Flasche heraus. Ohne den Blick von Harrys Augen zu wenden, berührte Slughorn mit der Spitze des Zauberstabs seine Schläfe und nahm ihn wieder weg, wobei auch ein langer, silberner Erinnerungsfaden weggezogen wurde, der
Weitere Kostenlose Bücher