Harry Potter und der Halbblutprinz
sagte Malfoy, und seine Stimme schien eine Oktave höher zu rutschen, als er das sagte. »Jemand von Ihren Leuten … ich weiß nicht, wer, es war dunkel … ich bin über die Leiche gestiegen … ich sollte hier oben auf Ihre Rückkehr warten, doch Ihre Phönixleute sind mir in die Quere gekommen …«
»Ja, das haben sie so an sich«, sagte Dumbledore.
Von unten waren ein Knall und Schreie zu hören, lauter als zuvor; es klang, als würde direkt auf der Wendeltreppe gekämpft, die auf den Turm hinaufführte, wo Dumbledore, Malfoy und Harry standen, und Harrys Herz hämmerte ungehört in seiner unsichtbaren Brust … jemand war tot … Malfoy war über die Leiche gestiegen … aber wer war es?
»Wie auch immer, es bleibt wenig Zeit«, sagte Dumbledore. »Also lassen Sie uns über Ihre Möglichkeiten sprechen, Draco.«
»Meine Möglichkeiten!«, entgegnete Malfoy laut. »Ich stehe hier mit einem Zauberstab – ich werde Sie gleich töten –«
»Wir sollten uns da nichts mehr vormachen, mein Lieber. Wenn Sie mich hätten töten wollen, hätten Sie es getan, als Sie mich mit Ihrem Zauber entwaffnet hatten, Sie hätten sich nicht durch diese vergnügliche Plauderei über Mittel und Wege aufhalten lassen.«
»Ich habe keine Wahl!«, sagte Malfoy, der plötzlich so weiß war wie Dumbledore. »Ich muss es tun! Er bringt mich um! Er bringt meine ganze Familie um!«
»Mir ist bewusst, wie schwierig Ihre Lage ist«, sagte Dumbledore. »Warum sonst habe ich Sie nicht längst schon zur Rede gestellt? Weil ich wusste, man würde Sie ermorden, wenn Lord Voldemort merken würde, dass ich Sie verdächtige.«
Malfoy zuckte bei der Erwähnung des Namens.
»Ich habe es nicht gewagt, mit Ihnen über die Mission zu reden, von der ich wusste, denn er hatte womöglich Legilimentik gegen Sie eingesetzt«, fuhr Dumbledore fort. »Aber jetzt können wir endlich offen miteinander reden … es ist kein Schaden verursacht worden, Sie haben niemanden verletzt, auch wenn Sie von großem Glück reden können, dass Ihre unbeabsichtigten Opfer überlebt haben … ich kann Ihnen helfen, Draco.«
»Nein, das können Sie nicht«, sagte Malfoy und seine Zauberstabhand bebte nun wirklich heftig. »Niemand kann das. Er hat mir befohlen, es zu tun, oder er wird mich töten. Ich habe keine Wahl.«
»Kommen Sie auf die richtige Seite, Draco, und wir können Sie besser verstecken, als Sie es sich auch nur vorstellen können. Mehr noch, ich kann heute Nacht Mitglieder des Ordens zu Ihrer Mutter schicken, um sie ebenfalls zu verstecken. Ihr Vater ist im Augenblick in Askaban sicher … zu gegebener Zeit können wir auch ihn schützen … kommen Sie auf die richtige Seite, Draco … Sie sind kein Mörder …«
Malfoy starrte Dumbledore an.
»Aber ich bin doch so weit gekommen, oder?«, sagte er langsam. »Die haben gedacht, ich würde bei dem Versuch sterben, aber ich bin hier … und Sie sind in meiner Gewalt … ich habe den Zauberstab … Sie sind mir gnadenlos ausgeliefert …«
»Nein, Draco«, sagte Dumbledore leise. »Es ist meine Gnade und nicht Ihre, die jetzt entscheidend ist.«
Malfoy schwieg. Sein Mund stand offen, seine Hand mit dem Zauberstab zitterte unentwegt. Harry meinte, sie ein klein wenig sinken zu sehen –
Doch plötzlich kamen polternde Schritte die Treppe herauf, und im nächsten Augenblick wurde Malfoy beiseitegedrängt, als vier Leute in schwarzen Umhängen durch die Tür oben auf den Turm gestürmt kamen. Harry war noch immer gelähmt, und seine Augen starrten, ohne zu blinzeln, voller Angst auf die vier Fremden: Offenbar hatten die Todesser den Kampf unten gewonnen.
Ein schwerfällig wirkender Mann mit einem merkwürdigen schiefen Grinsen ließ ein rasselndes Kichern hören.
»Dumbledore in der Falle!«, sagte er und wandte sich an eine stämmige kleine Frau, die aussah, als könnte sie seine Schwester sein, und die begierig grinste. »Dumbledore ohne Zauberstab, Dumbledore allein! Gut gemacht, Draco, gut gemacht!«
»Guten Abend, Amycus«, sagte Dumbledore ruhig, als würde er den Mann zu einer Teegesellschaft begrüßen. »Und Alecto haben Sie auch mitgebracht … wie reizend …«
Die Frau stieß ein kurzes, wütendes Kichern aus.
»Sie glauben wohl, Ihre kleinen Scherze helfen Ihnen auf dem Sterbebett?«, höhnte sie.
»Scherze? Aber nein, das sind gute Manieren«, erwiderte Dumbledore.
»Tu es«, sagte der Fremde, der Harry am nächsten stand, ein großer, schlaksiger Mann mit mattgrauem Haar und einem
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