Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
durch die Zeltklappe zwängte, aber da war nichts.
»Was ist los?«, sagte er, zornig und erleichtert zugleich. »Was sollte das denn? Ich dachte, du hättest einen Todesser gesehen, der gerade den Reißverschluss vom Zelt aufmacht, mindestens –«
»Harry, und wenn Bathilda das Schwert hätte? Was, wenn Dumbledore es ihr anvertraut hätte?«
Harry dachte darüber nach. Bathilda war inzwischen vermutlich eine steinalte Dame und Muriel zufolge war sie »plemplem«. War es wahrscheinlich, dass Dumbledore das Schwert von Gryffindor bei ihr versteckt hatte? Wenn ja, dann hatte Dumbledore nach Harrys Empfinden eine Menge dem Zufall überlassen: Dumbledore hatte nie verraten, dass er das Schwert durch eine Fälschung ersetzt hatte, noch hatte er eine Freundschaft mit Bathilda auch nur erwähnt. Dies war jedoch nicht der Moment, Hermines Theorie in Zweifel zu ziehen, wo sie doch so überraschend bereit war, sich Harrys sehnlichstem Wunsch anzuschließen.
»Jaah, das könnte er getan haben! Also, gehen wir nach Godric’s Hollow?«
»Ja, aber wir müssen alles sorgfältig durchdenken, Harry.« Sie setzte sich auf, und Harry spürte, dass der Umstand, dass sie wieder einen Plan hatten, ihre Laune genauso verbessert hatte wie seine. »Wir müssen erst mal üben, zusammen unter dem Tarnumhang zu disapparieren, und vielleicht wären Desillusionierungszauber auch sinnvoll, außer du meinst, wir sollten gleich Nägel mit Köpfen machen und Vielsaft-Trank verwenden? Dann müssten wir uns Haare von jemandem besorgen. Ich glaub wirklich, das sollten wir tun, Harry, je stärker unsere Masken sind, desto besser …«
Harry ließ sie reden, nickte und pflichtete ihr bei, wann immer sie eine Pause machte, doch seine Gedanken waren von dem Gespräch abgeschweift. Zum ersten Mal seit er erfahren hatte, dass das Schwert bei Gringotts eine Fälschung war, verspürte er Aufregung.
Er würde bald nach Hause gehen, zurück an den Ort, wo er eine Familie gehabt hatte. Wenn Voldemort nicht gewesen wäre, wäre er in Godric’s Hollow aufgewachsen und hätte dort all seine Schulferien verbracht. Er hätte Freunde zu sich nach Hause einladen können … er hätte vielleicht sogar Brüder und Schwestern gehabt … es wäre seine Mutter gewesen, die den Kuchen für seinen siebzehnten Geburtstag gebacken hätte. Das Leben, das er verloren hatte, war ihm kaum jemals so wirklich erschienen wie in diesem Moment, da er wusste, dass er den Ort bald sehen würde, wo es ihm genommen worden war. Nachdem Hermine an diesem Abend zu Bett gegangen war, zog Harry leise seinen Rucksack aus ihrer Perlentasche und nahm das Fotoalbum heraus, das Hagrid ihm vor so langer Zeit geschenkt hatte. Zum ersten Mal seit Monaten sah er die alten Bilder seiner Eltern durch, die aus diesen Fotos zu ihm hochlächelten und winkten, die nun alles waren, was er von ihnen noch besaß.
Am nächsten Tag wäre Harry am liebsten nach Godric’s Hollow aufgebrochen, aber Hermine hatte andere Pläne. Sie war überzeugt, Voldemort würde damit rechnen, dass Harry dorthin zurückkehrte, wo seine Eltern gestorben waren, und wollte daher unbedingt erst dann aufbrechen, wenn sie sich so gut wie möglich getarnt hatten. Es dauerte deswegen eine ganze Woche – in der sie sich heimlich Haare von arglosen Muggeln beschafften, die gerade ihre Weihnachtseinkäufe erledigten, und zu zweit unter dem Tarnumhang Apparieren und Disapparieren übten –, bis Hermine sich bereit erklärte, die Reise anzutreten.
Sie mussten im Schutz der Dunkelheit in das Dorf apparieren, also war es später Nachmittag, als sie endlich den Vielsaft-Trank schluckten und Harry sich in einen Muggel mittleren Alters mit schütterem Haar verwandelte, Hermine in seine kleine und ziemlich mausgraue Gattin. Die Perlentasche, die all ihre Habseligkeiten enthielt (außer dem Horkrux, den Harry um den Hals trug), steckte in einer Innentasche von Hermines zugeknöpftem Mantel. Harry legte den Tarnumhang über sie, dann drehten sie sich abermals in die drückende Dunkelheit hinein.
Harry schlug das Herz bis zum Hals, als er die Augen wieder aufschlug. Sie standen Hand in Hand auf einem verschneiten Sträßchen unter einem dunkelblauen Himmel, an dem schon die ersten nächtlichen Sterne schwach funkelten. Auf beiden Seiten der schmalen Straße standen kleine Häuser, in deren Fenstern Weihnachtsschmuck glitzerte. Nicht weit vor ihnen deutete der goldene Schein von Straßenlaternen die Ortsmitte an.
»So viel Schnee!«,
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