Harry Potter und die Kammer des Schreckens
eine dieser Kreaturen hören, die zweifellos Ron fortschleppten. Sie krabbelten geradewegs ins Herz des Waldes. Harry konnte Fang hören, wie er laut wimmernd versuchte, sich von einem dritten Monster loszukämpfen, doch er selbst hätte nicht schreien können, selbst wenn er gewollt hätte; seine Stimme schien beim Wagen auf der Lichtung zurückgeblieben zu sein.
Er konnte nicht sagen, wie lange er in den Krallen des Wesens gewesen war; er wusste nur, dass die Dunkelheit plötzlich so viel von ihrer Schwärze verlor, dass er etwas erkennen konnte – auf dem blätterbedeckten Boden wimmelte es jetzt von Spinnen. Er reckte den Kopf zur Seite und sah, dass sie den Rand einer gewaltigen Senke erreicht hatten, in der keine Bäume standen, so dass die Sterne ihr Licht auf das schlimmste Schauspiel warfen, das er je gesehen hatte.
Spinnen. Nicht kleine Spinnen wie jene, die über die Blätter auf dem Boden huschten. Spinnen, so groß wie Kutschpferde, achtäugig, achtbeinig, schwarz, haarig, gigantisch. Das massige Exemplar, das Harry trug, machte sich auf den Weg den steilen Abhang hinunter, hinüber zu einem Netz, das wie eine Kuppel aus Nebelschleiern in der Mitte der Senke hing. Seine Artgenossen schlossen einen engen Kreis um sie und angesichts seiner Beute klickten sie aufgeregt mit ihren Greifern.
Die Spinne ließ ihn los und Harry landete mit allen vieren auf dem Boden. Ron und Fang schlugen neben ihm auf. Fang heulte nicht mehr, sondern kauerte sich still zusammen. Ron sah genauso aus, wie Harry sich fühlte. Sein Mund war weit aufgerissen zu einem stummen Schrei und seine Augen hüpften.
Plötzlich hörte Harry, dass die Spinne, die ihn hatte fallen lassen, etwas sagte. Es war schwer zu verstehen, denn sie klickte bei jedem Wort mit ihren Greifzangen.
»Aragog!«, rief sie, »Aragog!«
Und aus der Mitte der schleierartigen Netzkuppel tauchte ganz langsam eine Spinne von der Größe eines kleinen Elefanten auf. Ins Schwarz ihres Körpers und ihrer Beine war Grau gemischt und jedes Auge auf ihrem hässlichen, greiferbestückten Kopf war milchig weiß. Sie war blind.
»Was ist?«, sagte sie und klickte schnell mit ihren Greifern.
»Menschen«, klickte die Spinne, die Harry gefangen hatte.
»Ist es Hagrid?«, sagte Aragog und kam näher, seine acht milchigen Augen schwammen ziellos umher.
»Fremde«, klickte die Spinne, die Ron gebracht hatte.
»Tötet sie«, klickte Aragog gereizt. »Ich habe geschlafen …«
»Wir sind Freunde von Hagrid«, rief Harry. Sein Herz schien die Brust verlassen zu haben und in der Kehle zu pochen.
Klick, klick, klick, machten die Spinnenzangen im Umkreis der Senke. Aragog hielt kurz inne.
»Hagrid hat nie zuvor Menschen in unsere Senke geschickt«, sagte er träge.
»Hagrid steckt in Schwierigkeiten«, sagte Harry und atmete dabei schnell. »Deshalb sind wir gekommen.«
»In Schwierigkeiten?«, sagte die alte Spinne und Harry meinte ein wenig Besorgnis aus dem Klicken herauszuhören. »Aber warum hat er euch geschickt?«
Harry überlegte, ob er aufstehen sollte, ließ es jedoch sein; er glaubte nicht, dass ihn seine Beine tragen würden. Und so sprach er vom Boden aus, so ruhig er konnte.
»Oben in der Schule glauben sie, Hagrid hätte ein – ein – etwas auf die Schüler losgelassen. Sie haben ihn nach Askaban gebracht.«
Aragog klickte wütend mit den Greifzangen und in der ganzen Senke tat es ihm die Schar der Spinnen gleich; es klang wie Beifall, nur dass Harry davon normalerweise nicht übel vor Angst wurde.
»Aber das war vor vielen Jahren«, sagte Aragog ungehalten. »Vor vielen, vielen Jahren. Ich erinnere mich gut daran. Deshalb haben sie ihn gezwungen, die Schule zu verlassen. Sie glaubten, ich sei das Monster, das, wie sie sagen, in der Kammer des Schreckens haust. Sie glaubten, Hagrid habe die Kammer geöffnet und mich freigelassen.«
»Und du … du kamst nicht aus der Kammer des Schreckens?«, sagte Harry, dem jetzt der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach.
»Ich!«, sagte Aragog und klapperte zornig. »Ich wurde nicht im Schloss geboren. Ich komme aus einem fernen Land. Ein Reisender schenkte mich Hagrid, als ich noch ein Ei war. Hagrid war damals noch ein Junge, doch er sorgte für mich und versteckte mich in einem Schrank im Schloss und fütterte mich mit Essensresten vom Tisch. Hagrid ist mein Freund und ein guter Mann. Als man mich entdeckte und mir die Schuld für den Tod des Mädchens gab, da beschützte er mich. Seither lebe ich hier im
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