Harry Potter und die Kammer des Schreckens
haben trotz allem noch Prüfungen?«
Hinter Harry krachte es. Neville Longbottom war der Zauberstab aus der Hand gefallen und ein Bein seines Tisches war verschwunden. Professor McGonagall brachte es mit einem Schlenker ihres Zauberstabs wieder zum Vorschein und wandte sich dann stirnrunzelnd Seamus zu.
»Wir halten die Schule einzig und allein deshalb geöffnet, damit Sie Ihre Ausbildung erhalten«, sagte sie streng. »Die Prüfungen finden daher wie üblich statt, und ich bin sicher, Sie alle werden den Stoff fleißig wiederholen.«
Fleißig wiederholen! Harry hätte nie gedacht, sie würden Prüfungen haben, bei all dem, was im Schloss passierte. Im Klassenzimmer gab es meutereilustiges Getuschel, und Professor McGonagall blickte noch finsterer in die Runde.
»Professor Dumbledores Anweisung lautet, den Unterricht möglichst wie gewohnt fortzusetzen«, sagte sie. »Und das, wie ich kaum weiter ausführen muss, heißt herauszufinden, wie viel Sie dieses Jahr gelernt haben.«
Harry schaute auf das Paar weißer Kaninchen, die er in Pantoffeln verwandeln sollte. Was hatte er bislang in diesem Schuljahr gelernt? Ihm fiel einfach nichts ein, was in einer Prüfung nützlich sein konnte.
Ron sah aus, als ob man ihm gerade gesagt hätte, er müsse fort und im Verbotenen Wald leben.
»Kannst du dir vorstellen, dass ich mit dem hier die Prüfungen bestehe?«, fragte er Harry und hob seinen Zauberstab, der gerade anfing laut zu pfeifen.
Drei Tage vor ihrer ersten Prüfung machte Professor McGonagall beim Frühstück eine weitere Ankündigung.
»Ich habe eine gute Nachricht«, sagte sie, und die Menge in der Großen Halle, anstatt in Schweigen zu verfallen, brach in Gejohle aus.
»Dumbledore kommt zurück!«, riefen einige ausgelassen.
»Sie haben den Erben Slytherins gefangen!«, quiekte ein Mädchen am Ravenclaw-Tisch.
»Es gibt wieder Quidditch-Spiele!«, dröhnte Wood begeistert.
Als der Tumult sich gelegt hatte, sagte Professor McGonagall:
»Professor Sprout hat mir mitgeteilt, dass die Alraunen endlich reif zum Schneiden sind. Wir werden die Versteinerten heute Abend noch wiederbeleben können. Ich muss Sie wohl kaum daran erinnern, dass einer von ihnen uns vielleicht sagen wird, wer – oder was – ihn angegriffen hat. Ich habe die große Hoffnung, dass dieses schreckliche Jahr damit enden wird, dass wir den Schurken fassen.«
Dem folgte ohrenbetäubendes Kreischen. Harry sah hinüber zum Slytherin-Tisch und war keineswegs überrascht, dass Draco Malfoy nicht in das Freudengeheul einstimmen wollte. Ron hingegen schien besser gelaunt als seit Tagen.
»Dann ist es egal, dass wir Myrte nicht gefragt haben!«, sagte er zu Harry. »Hermine wird wahrscheinlich alles wissen, wenn sie aufwacht! Ich sag dir, sie dreht durch, wenn sie erfährt, dass wir in drei Tagen Prüfungen haben. Sie hat ja nichts wiederholt. Vielleicht wäre es besser, sie in Ruhe zu lassen, bis alles vorbei ist.«
In diesem Moment kam Ginny Weasley herüber und setzte sich neben Ron. Sie sah angespannt und nervös aus, und Harry bemerkte, dass sie die Hände im Schoß knetete.
»Was gibt’s?«, sagte Ron und tat sich noch einen Schlag Haferbrei auf.
Ginny sagte nichts, sondern blickte ängstlich am Gryffindor-Tisch entlang. Sie erinnerte Harry an jemanden, doch er wusste nicht, an wen.
»Spuck’s aus«, sagte Ron und musterte sie aufmerksam.
Harry fiel plötzlich ein, wem Ginny ähnlich sah. Sie wiegte sich im Sitzen leicht vor und zurück, genau wie Dobby, wenn er kurz davor war, verbotene Auskünfte zu geben.
»Ich muss euch etwas sagen«, murmelte Ginny und vermied sorgfältig jeden Blick auf Harry.
»Was denn?«, fragte Harry.
Ginny sah aus, als fände sie nicht die richtigen Worte.
»Was?«, fragte Ron.
Ginny öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. Harry beugte sich vor und sprach leise, so dass nur Ginny und Ron ihn hören konnten.
»Hat es etwas mit der Kammer des Schreckens zu tun? Hast du etwas gesehen? Jemanden, der sich merkwürdig verhält?«
Ginny holte tief Luft und genau in diesem Moment erschien, müde und blass, Percy Weasley.
»Wenn du fertig bist mit Essen, setz ich mich auf deinen Platz, Ginny, ich komm gerade vom Wachdienst.«
Ginny sprang auf, als ob der Stuhl ihr gerade einen elektrischen Schlag verpasst hätte, warf Percy einen flüchtigen, angsterfüllten Blick zu und verschwand. Percy setzte sich und nahm sich einen Becher vom Tisch.
»Percy!«, sagte Ron zornig. »Sie wollte uns
Weitere Kostenlose Bücher