Harter Schnitt
auch daran, nicht zu fragen, was ihr passiert war.« Er stieß sich vom Tisch ab und hob die Kartons hoch. » Das ist alles. Erbärmlich und dumm.«
» Nein. Will…«
An der Tür blieb er stehen, die Schachteln vor der Brust wie ein Panzer. » Amanda wollte, dass ich Sie frage, ob Sie jemanden aus dem Büro des Medical Examiners von Fulton kennen.«
Saras Gehirn brauchte ein bisschen, um diesen plötzlichen Richtungswechsel zu verarbeiten. » Wahrscheinlich. Als ich anfing, habe ich dort einen Teil meiner Ausbildung gemacht.«
Er hob die Kartons leicht an. » Das kommt von Amanda, nicht von mir. Sie will, dass Sie ein bisschen herumtelefonieren. Sie müssen es nicht tun, aber…«
» Was will sie wissen?«
» Alles, was bei den Autopsien herauskommt. Das APD wird es uns nicht verraten. Sie wollen den Fall behalten.«
Er drehte sich zur Tür um und wartete. Sie schaute seinen Nacken an, die feinen Haare entlang seiner Wirbelsäule. » Okay.«
» Sie haben Amandas Nummer. Rufen Sie sie einfach an, wenn Sie irgendwas herausgefunden haben. Oder rufen Sie sie auch an, wenn nicht. Sie ist ungeduldig.« Er stand da und wartete darauf, dass sie ihm die Tür öffnete.
Fast den ganzen Tag lang hatte Sara sich gewünscht, dass er aus ihrem Leben verschwand, aber jetzt, da er gehen wollte, konnte sie es nicht ertragen. » Amanda hat sich geirrt.«
Er drehte sich wieder zu ihr um.
» Was sie heute gesagt hat. Sie hat sich geirrt.«
Er spielte den Schockierten. » Ich glaube, ich habe noch nie irgendjemand das laut sagen hören.«
» Almeja. Das letzte Wort des Sterbenden.« Sie erklärte: » Die wörtliche Übersetzung ist ›Muschel‹– aber das ist kein Slang für ›Geld‹. Zumindest nicht, soweit ich es weiß.«
» Wofür steht es dann im Slang?«
Sie hasste das Wort, aber sie sagte es trotzdem: » Fotze.«
Er runzelte die Stirn. » Woher wissen Sie das?«
» Ich arbeite in einem großen, öffentlichen Krankenhaus. Ich glaube, seit ich angefangen habe, ist keine Woche vergangen, in der mich nicht irgendjemand mit einer Variation dieses Wortes beschimpft hat.«
Will stellte die Schachteln wieder auf den Tisch. » Wer hat Sie so genannt?«
Sie schüttelte den Kopf. Er sah aus, als wollte er sich ihren gesamten Patientenstamm vorknöpfen. » Die Sache ist die: Der Kerl nannte Faith so, er sprach nicht über Geld.«
Will verschränkte die Arme. Er war offensichtlich verärgert. » Ricardo«, ergänzte er. » Der Kerl im Hinterhof, der auf diese kleinen Mädchen schoss– sein Name war Ricardo.« Sara schaute ihm unverwandt in die Augen. Will redete weiter: » Hironobu Kwon war der Tote in der Wäschekammer. Über den älteren Asiaten wissen wir rein gar nichts, außer dass er eine Vorliebe für Hawaii-Hemden hatte und mit dem Akzent der Southside sprach. Und dann ist da noch jemand, der verletzt wurde, wahrscheinlich bei einem Messerkampf mit Evelyn. Sie werden den Aufruf im Krankenhaus sehen, wenn Sie wieder zur Arbeit gehen. Blutgruppe B-negativ, wahrscheinlich Hispano, Stichwunde im Bauch, möglicherweise eine Verletzung an der Hand.«
» Beeindruckendes Ensemble.«
» Glauben Sie mir, da kann man leicht den Überblick verlieren, und ich bin mir nicht mal sicher, ob diese Kerle der eigentliche Grund sind, warum das alles passierte.«
» Was meinen Sie damit?«
» Es fühlt sich irgendwie persönlich an, als wäre was ganz anderes im Spiel. Man wartet nicht vier Jahre, um jemanden auszurauben. Es muss um mehr gehen als nur um Geld.«
» Man sagt aus einem bestimmten Grund, dass es die Wurzel allen Übels ist.« Saras Mann hatte Geld als Motiv immer geliebt. Ihrer Erfahrung nach hatte er meistens recht damit gehabt. » Dieser Verletzte– der Kerl mit der Bauchwunde–, ist er in einer Gang?«
Will nickte.
» Die haben im Allgemeinen ihre eigenen Ärzte, die gar nicht schlecht sind– ich habe einige Beispiele ihrer Arbeit in der Notaufnahme gesehen. Aber eine Bauchwunde ist ziemlich schwierig zu behandeln. Vielleicht brauchen sie Blut, und an B-negativ kommt man nur schwer heran. Außerdem brauchen sie eine sterile Operationsumgebung und Medikamente, die man nicht einfach so über den Ladentisch bekommt. Die gibt es nur in einer Krankenhausapotheke.«
» Können Sie mir eine Liste geben? Ich kann die zu dem Aufruf hinzusetzen lassen.«
» Natürlich.« Sie ging in die Küche, um Stift und Papier zu holen.
Er blieb am Esstisch stehen. » Wie lange kann man mit einer Stichwunde im Bauch
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