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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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zu wollen. » Da gibt’s nicht viel zu sagen. Er ist tot. Er war kein besonders guter Kerl, aber ich bin sicher, dass es für seine Familie schwer sein dürfte.«
    Sara starrte ihn an. In seinem Gesicht sah sie keine Arglist. Vielleicht hatte Angie ihm von der Konfrontation nichts erzählt. Oder vielleicht hatte sie es, und Will gab sich die größte Mühe, es zu ignorieren. So oder so– er verbarg etwas. Doch plötzlich, nachdem sie die letzten Stunden damit verbracht hatte, sich wahnsinnig zu machen, war es Sara völlig egal. Sie wollte nicht darüber reden. Sie wollte es nicht analysieren. Sie wusste nur ganz sicher, sie wollte nicht, dass er wieder ging.
    Sie fragte: » Was ist in den Schachteln?«
    Er schien die Veränderung bei ihr zu bemerken, wollte aber offensichtlich nicht darauf eingehen. » Fallakten einer alten Ermittlung. Es könnte etwas mit Evelyns Verschwinden zu tun haben.«
    » Also keine Entführung?«
    Sein Grinsen hieß, dass sie ihn ertappt hatte. » Ich muss einfach bis morgen früh um fünf Uhr alles wissen, was in diesen Akten steht.«
    » Brauchen Sie Hilfe?«
    » Nein.« Er drehte sich zum Tisch, um die Schachteln wieder hochzuheben. » Danke, dass Sie Betty für mich nach Hause gebracht haben.«
    » Legastheniker zu sein ist kein Charakterfehler.«
    Will ließ die Schachteln auf dem Tisch stehen und drehte sich wieder um. Er antwortete nicht sofort. Er schaute Sara einfach auf eine Art an, dass sie sich wünschte, sie hätte sich die Zeit genommen zu baden. Schließlich sagte er: » Ich glaube, es war mir lieber, als Sie wütend auf mich waren.«
    Sara sagte nichts.
    » Es geht um Angie, nicht? Sind Sie deshalb so aus dem Häuschen?«
    Diese ständig wechselnden Ebenen des Ausweichens waren Neuland für sie. » Es scheint, als wollten wir das ignorieren.«
    » Wollen Sie in diese Richtung weitermachen?«
    Sara zuckte die Achseln. Sie wusste nicht, was sie wollte. Richtig wäre es gewesen, ihm zu sagen, dass ihr unschuldiges Flirten nun ein Ende hatte. Sie sollte die Tür öffnen und ihn bitten zu gehen. Sie sollte morgen Vormittag Dr. Dale anrufen und ihn um ein zweites Rendezvous bitten. Sie sollte Will vergessen.
    Aber ihre Gedanken an Will waren nicht das Problem. Es war die Enge in ihrer Brust, wenn sie dachte, er sei in Gefahr. Es war das Gefühl der Erleichterung, wenn er durch die Tür kam. Es war das Glück, das sie empfand, wenn sie einfach nur in seiner Nähe war.
    Er sagte: » Angie und ich waren mehr als ein Jahr lang nicht mehr zusammen– zusammen .« Will hielt kurz inne, um das wirken zu lassen. » Nicht mehr, seit ich Sie kenne.«
    » Oh«, war alles, was Sara sagen konnte.
    » Und als dann Angies Mutter vor ein paar Jahren starb, sah ich sie vielleicht für zwei Stunden, dann war sie wieder verschwunden. Sie ging nicht mal zur Beerdigung.« Er hielt erneut inne, das Thema fiel ihm offensichtlich schwer. » Unsere Beziehung zu erklären ist schwierig, ohne nicht erbärmlich und dumm auszusehen.«
    » Sie sind mir keine Erklärung schuldig.«
    Er steckte die Hände in die Tasche und lehnte sich an den Tisch. Das Deckenlicht betonte die schartige Narbe über seinem Mund. Die Haut war rosa, eine feine Linie entlang der Oberlippenfurche zur Nase. Sara wollte gar nicht darüber nachdenken, wie oft sie sich schon überlegte hatte, wie sich die Narbe an ihrem Mund anfühlen würde.
    Viel zu oft.
    Will räusperte sich. Er schaute zu Boden, dann wieder sie an. » Sie wissen, wo ich aufwuchs. Wie ich aufwuchs.«
    Sie nickte. Das Atlanta Children’s Home war schon vor vielen Jahren geschlossen worden, aber das verlassene Gebäude war weniger als fünf Meilen von ihrer Wohnung entfernt.
    » Oft gingen Kinder weg. Es wurde versucht, mehr von uns bei Pflegeeltern unterzubringen. Schätze, das ist billiger.« Er zuckte die Achseln, als wäre das zu erwarten. » Bei den Älteren funktionierte es normalerweise nicht. Einige hielten es ein paar Wochen aus, andere nur ein paar Tage. Die kamen dann verändert zurück. Ich schätze, Sie können sich vorstellen, wieso.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte es sich nicht vorstellen.
    » Es gab nicht gerade eine Reihe von Familien, die einen Achtjährigen aufnehmen wollten, der nicht einmal die dritte Klasse schaffte. Aber Angie ist ein Mädchen, hübsch und schlau, und so wurde sie oft abgeholt.« Wieder zuckte er die Achseln. » Schätze, ich gewöhnte mich einfach daran, auf ihre Rückkehr zu warten, und wahrscheinlich gewöhnte ich mich

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