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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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das alles viel schlimmer und fieser vor als damals. Wahrscheinlich haben wir unserem Ruf alle Ehre gemacht: Die Assi-Kids aus dem Vorstadt-Viertel. Kinderhaus nennt man unsere Wohngegend in der Stadt. Unser Viertel war als einer dieser »sozialen Brennpunkte« verschrien, auf die sich die Medien immer so sensationsgeil stürzten. Aber in den letzten Jahren hat man die beiden Hochhäuser saniert und die Müllcontainer vom Bürgersteig sind in die Innenhöfe verbannt worden, wo sie jetzt auch niemand mehr anzündete. Damit hat unser sozialer Aufstieg begonnen, aber wenn man einmal einen Ruf hat, kriegt man den auch nicht mehr weg. Die schicken Tussis an unserer Schule, die wöchentlich ein neues Outfit auf dem Pausenhof präsentieren, rümpfen jedenfalls weiterhin die Nase. Mit Janni und Daniel waren Mike, Robin und ich die Einzigen aus Kinderhaus, die auf dem Erich-Kästner-Gymnasium waren. Das ist auf jeden Fall dreimal besser, als auf die nächste Gesamtschule zu gehen und liegt außerdem direkt an der U-Bahn-Strecke, die zu uns rausfährt. Die U2 ist echt die einzige Verbindung ins Leben, direkt ins Herz der City. Davor kommen allerdings noch jede Menge Felder und ein riesiges Gewerbegebiet. Also wir sind hier wirklich ein bisschen am A … der Welt.
    Im Winter haben wir uns meistens an der Haltestelle getroffen, um zusammen zu fahren. Wir haben immer aufeinander gewartet. Nur auf Robin warteten wir nie. Er aber immer auf uns. Er war auch immer als Erster da. Im Sommer oder wenn es trocken und nicht zu kalt war, fuhren wir mit dem Rad. Seit der Sache an der Berkel fuhr Robin allerdings nur noch mit dem Rad, egal, was für ein Wetter gerade war. Vielleicht wollte er uns beweisen, dass er unabhängig von uns war und uns nicht mehr brauchte. Seine Mutter hatte ihm deshalb eine wetterfeste orangerote Jacke mit herausnehmbarem Fleece gekauft, die er im Winter genauso wie im Sommer anzog. Er sah darin aus wie eine Apfelsine. So konnte man ihn immer von Weitem erkennen und einen großen Bogen um ihn machen. Sonst blieb einem nichts anderes übrig, als ihn wie Luft zu behandeln. Robin konnte wie eine Klette an einem kleben.
    Ich glaubte ja, dass er lieber mit dem Rad fuhr, weil er in Wahrheit nicht wusste, was er während der U-Bahn-Fahrt mit uns reden sollte. Ich wüsste auch nicht, wie ich mit jemandem plaudern sollte, der mir so was Schlimmes angetan hat.
    Wir hatten im Keller einen alten Raum, der von niemandem mehr genutzt wurde, als eine Art Cliquen-Quartier eingerichtet. Dorthin kam Robin, wann immer es ihm passte, ohne in irgendeiner Weise auf uns zu achten oder Rücksicht zu nehmen. Er machte dann auch, was er wollte, und schien an diesem Ort irgendwie viel selbstbewusster zu sein als sonst. Für uns alle war dieses Versteck im Keller ziemlich wichtig, weil es meistens der einzige Ort war, an dem man mal seine Ruhe hatte. Vor allem für Janni und Daniel, die sich zu Hause noch mit ihren Geschwistern rumschlagen mussten, und für Mike mit seiner obernervigen Mutter. Für Robin war dieser Raum praktisch überlebenswichtig. Aber das habe ich erst später kapiert. Wir waren einfach alle viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Mit uns selbst und mindestens einem anderen: Daniel mit Janni, Janni mit Mike, Mike mit mir, ich mit Mike und dadurch auch mit Janni und so weiter. Na ja, aber das ist wohl auch keine richtige Entschuldigung.
    Es tut mir immer noch leid, was passiert ist. Mir besonders, obwohl ich inzwischen die ganze Wahrheit kenne. Aber es ist wohl zu wenig, dass es einem einfach nur leidtut. Es wird immer zu wenig sein. Ich muss damit leben, eine Seele auf dem Gewissen zu haben, die stumm geblieben ist, ohne Tränen und Schreie von sich zu geben. Abgesehen von dem einen Mal. Was für ein Stress!
    Irgendwann wollten wir Robin einfach loswerden. Es war einfach nur noch ätzend, ihn ständig im Schlepptau zu haben. Er terrorisierte Mike und mich mit seiner bloßen Anwesenheit. Er war wie eine Schildkröte. Man hört sie zwar nicht, aber auch wenn sie sich in ihren Panzer zurückzieht, ist sie trotzdem noch da. Irgendwie war er mir auch unheimlich mit seiner Art, ständig den Kopf einzuziehen und sich über den Panzer trampeln zu lassen.
    An Mike und mich hängte er sich noch öfter als an Daniel und Janni, weil ich genau wie er in dem ersten der beiden Hochhäuser wohnte und sich das Kellerquartier in unserem Haus befand. Und weil meine Mutter öfter mal mit Robins Eltern zusammen im Hof unten grillte oder

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