Hassbluete
weiterging. »Das ist eine gute Frage! Du hast aufgepasst.«
Dann holte er zu einer umfassenden Erklärung aus: »Anfangs wusste ich gar nichts von Robins Brief. Er hatte ihn ja in seiner Jacke versteckt, hinter dem Futter. Lisa hat ihn erst später entdeckt, hat ihn aber gegenüber der Polizei nicht erwähnt. Weil sie Robins Worte nicht wahrhaben wollte und sich geschämt hat für seine Anklage, ob sie nun berechtigt war oder nicht.«
Diese Tatsachen kannte ich schon, hatte das Gespräch noch im Ohr, das ich heimlich belauscht hatte.
»Was hat Mike gesagt, woher er den Brief hat?«
»Woher weißt du, dass Mike ihn hatte?«
Mist!
»Hatte er nicht?« Schnell stellte ich eine Gegenfrage.
Aber Wolfgang lächelte. Er hatte mich durchschaut. »Du hast den Brief gestohlen«, stellte er fest. »Du hattest den Schlüssel, der plötzlich aus dem Keller verschwunden war. Deshalb warst du auch da, als das mit Lisa auf dem Balkon passiert ist.«
»Ja«, sagte ich. Es hatte keinen Sinn, es abzustreiten.
»Hat es dir Spaß gemacht, Lisa und mich zu belauschen?«
»Nein, es war furchtbar.« Allein bei der Erinnerung stieg mir wieder die Panik in den Hals.
Auf jeden Fall hatte Mike mich nicht verraten. Und als ob Wolfgang tatsächlich in meinen Kopf schauen konnte, sagte er: »Mike hat das verschwiegen. Ich glaube, er liebt dich wirklich.«
Jetzt wusste ich nicht, was ich noch aus ihm rausholen konnte. Ich hatte die Zügel des Gesprächs nicht mehr in der Hand. Mit der Frage nach dem Brief hatte ich Wolfgang auf eine falsche Fährte gelenkt, die nicht weiterführte.
»Und wo wir gerade bei der Wahrheit sind«, sagte er. »Als Robin noch den Plan hatte, Amok zu laufen, da war er noch überzeugt davon, dass meine Pistole echt ist. Er hat aber auch nie gefragt, woher ich die Waffe habe. Vielleicht hat er sich auch gar keine Gedanken dazu gemacht. Aber ich hab natürlich keine illegalen Waffen bei mir zu Hause rumliegen. Mit diesem Teil hätte also gar nichts passieren können.«
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt denken, dass Wolfgang glaubte, er würde abgehört. In meinem Kopf ging alles durcheinander. Ich wusste nicht mehr, wo ich noch ansetzen konnte, ohne den ganzen Versuch endgültig zum Scheitern zu bringen.
Also entschloss ich mich, jetzt die alles entscheidende Frage zu stellen, die auch der Polizeipsychologin nicht eingefallen war, nicht einfallen konnte, weil wir alle zu dem Zeitpunkt nur so wenig von der Wahrheit kannten. Von irgendwo tief hinten in meinem Kopf schienen die Worte zu kommen, bevor ich fragte: »Hat Robin dich auch gebeten, ihn aufzuhalten?«
Wolfgang sah mich verdutzt an: »Wie meinst du das?«
»Na ja, er hat dich ja immerhin gezwungen, bei dir zu bleiben, indem er die Tür abgeschlossen hat. Da hat er dich ganz schön reingelegt.«
»Nein, ich hab ihn reingelegt«, grinste Wolfgang. »Ich wusste sofort, was er vorhatte. Ich konnte es riechen.«
»Nein, Robin war schlauer als du, ein einziges Mal.«
Und das hatte er wahrscheinlich auch Helen Marquardt zu verdanken, die ihn vielleicht auf die Idee gebracht hatte. Und damit vielleicht unser Leben gerettet hatte. Obwohl ich mir immer noch nicht vorstellen konnte, dass Robin wirklich so weit gegangen wäre.
»Ja, er war so schlau, mir direkt ins Gesicht zu sagen, dass er mich lebenslänglich hinter Gitter bringen würde. Und da würde es für mich sicher ungemütlich werden, hat er gemeint.«
Er machte eine kurze, aber bedeutsame Pause. »Ich hab ihm den Triumph einfach nicht gegönnt, mir mit dem Selbstmord die Zügel aus der Hand zu nehmen.«
»Sag ich doch, letztendlich ist er doch schlauer gewesen als du.«
»Ist er tot oder ich?« Die Überlegenheit wich nicht aus Wolfgangs Gesicht. »Dabei musste ich ihn nur ein bisschen schubsen. Es war ganz leicht.« Wolfgang machte die Bewegung mit der rechten Hand nach. »Aber du hättest sein Gesicht sehen müssen, als er nach hinten fiel. Damit hatte er nicht gerechnet, dass ich ihm seinen großen Abgang auch noch versaue. Aber nicht mit mir, Robin, nicht mit mir. Nur ein kleiner Schubs.«
Wolfgang grinste selbstzufrieden.
Ich war sprachlos über so viel Grausamkeit und vor Anspannung zu keiner Reaktion in der Lage. »Und du glaubst, auch das ist nicht strafbar?«, fragte ich ihn, bemüht, mir meinen Triumph nicht anmerken zu lassen.
»Strafbar schon, aber es gibt keinen Beweis.«
»Wirklich nicht?« Schnell griff ich nach der Tasche am Brückengeländer.
»Jetzt weiß
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