Hastings House
Bed and Breakfast, das in der Kolonialzeit das Hauptgebäude einer Plantage gewesen war. Nur sie, Laymon, Brad sowie ein paar andere Archäologen waren so vornehm untergebracht. Die übrigen Helfer mussten sich mit schlichteren Quartieren begnügen. Ihre Gastgeberin, eine gut gelaunte Siebzigjährige, stand morgens mit dem ersten Hahnenschrei auf, und ging auch dementsprechend früh am Abend zu Bett. Da sie etwas schwerhörig war, störte es sie nicht, wenn ihre Gäste erst in der Nacht zurückkehrten.
Müde und erschöpft, aber auch sehr zufrieden mit ihrem Fund ging Leslie in die Gemeinschaftsküche und setzte sich einen Tee auf. Vor dem offenen Kamin, in dem noch immer ein Feuer loderte, machte sie es sich in einem Schaukelstuhl gemütlich und nippte vorsichtig an ihrem Tee. Nach einigen Minuten bemerkte sie, dass sie nicht allein war.
Langsam drehte sie den Kopf zur Seite und begann zu lächeln, als sie den Mann sah, der sich zu ihr gesellt hatte. Sein rundlicher Bauch wurde durch die schlichte schwarze Weste ebenso hervorgehoben wie durch den weißen Hemdzipfel, der ihm aus dem Hosenbund gerutscht war. Seine Perücke wirkte ein wenig schäbig, entsprach jedoch ebenso dem Stil seiner Zeit wie der Dreispitz, der perfekt auf seinem Kopf saß. Die Hose war aus dickem, weißem Stoff, der hier und da ein wenig abgenutzt wirkte, und seine Schuhe wurden von glänzenden Schnallen geziert. Der Mann hatte rosige Wangen, die Augen wirkten unter den buschigen Brauen dunkel und klein. Er betrachtete Leslie und erwiderte ihr Lächeln mit einem zufriedenen Seufzer. “Nun, dann ist es also vollbracht?”, fragte er.
Sie nickte. “Und keine Sorge, Reverend Donegal. Es stimmt zwar, dass einige Knochen zur Analyse weggeschickt werden, aber die Leute im Smithsonian behandeln sie mit Sorgfalt und Ehrfurcht. Anschließend schicken sie die Knochen zurück, und wir sorgen dafür, dass sie mit allem ihnen gebührenden Respekt erneut beigesetzt werden. Und ich glaube, dass sich der Park Service mit seinen Plänen durchsetzen kann, sobald wir die Bedeutung dieses Fundes schwarz auf weiß bestätigt haben. Dann wird man eine Gedenkstätte und einen Nachbau der Kirche errichten, damit Generationen von Besuchern nicht nur die Landschaft genießen können, sondern auch alles darüber erfahren, was sich hier während des Freiheitskriegs und des Bürgerkriegs abgespielt hat.” Ihr Lächeln nahm einen leicht traurigen Ausdruck an. “Ich weiß, Sie haben viel geleistet, um den Flüchtlingen während des Freiheitskriegs zu helfen. Und dieses Gebäude gehörte auch zur Underground Railroad, jener Hilfsorganisation, die den Sklaven aus den Südstaaten die Flucht in die Nordstaaten ermöglichte. Im Garten vor dem Haus gab es während des Bürgerkriegs sogar ein Scharmützel. Es ist ein Wunder, dass dieses Haus überhaupt noch steht.”
“Solide gebaut, das gute Stück”, erwiderte Reverend Donegal ernst. “Und es wurde von seinen Bewohnern immer gut gepflegt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich vor vielen, vielen Jahren sonntags nach dem Gottesdienst für meinen Tee hierherkam … ach, war das damals eine wunderbare Zeit. So aufregend und beängstigend. Ein völlig neues, fremdes Land.” Sein Blick verfinsterte sich ein wenig, und einen Moment lang schien er beunruhigt zu sein. “Was für eine Schande … ein Krieg zieht den nächsten nach sich. Es schmerzte mich, hier zu sein … und so viele gute Männer sterben zu sehen, aus dem Norden wie aus dem Süden. Männer, die alle an den gleichen Gott glaubten … Oh, aber was soll’s. Es gibt ja immer noch die Hoffnung, dass der Mensch eines Tages aus seinen Fehlern lernt.” Er hielt inne, sein Blick trübte sich. Leslie wusste, dass er in Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit schwelgte, Erinnerungen, die fest in seinem Kopf verankert waren.
Natürlich kannte sie die Geschichte des Reverends. Er war ein stiller Verehrer der früheren Besitzerin dieses Hauses gewesen. Er hatte sich stets umsichtig verhalten und jede Minute genossen, die er in ihrer Nähe verbringen konnte. Er war ein guter Mann gewesen, der sich immer fürsorglich um seine Gemeinde gekümmert hatte. Sein einziges Vergnügen war der Sonntagstee hier im Haus. An einem jener Sonntage kam er her, trank seinen Tee … und dann bekam er einen Herzanfall und starb in den Armen der Frau, die er so viele Jahre lang insgeheim bewundert und verehrt hatte.
Anfangs hatte Leslie erwartet, einem sehr traurigen Geist zu
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