Hasturs Erbe
Verpflichtung, nämlich sicherzustellen, daß deine Gabe nicht ausstirbt, indem du Söhne und Töchter zeugst, die es von dir ererben, um wiederum dem Volk der Darkover zu dienen.«
Gegen meinen Willen rührten mich diese Worte. Ich hatte während meiner Reise in die Außenregionen das gleiche gedacht, nämlich, daß meine Stellung als Erbe der Comyn eine ernste, heilige Sache und ich ein Glied in einer endlosen Kette sei. Einen Moment spürte ich, daß der alte Mann meinen Gedanken folgte, als er die Hand wieder auf die Narbe an meinem Handgelenk legte. Er sagte: »Ich weiß, was dich das kostet, Lew. Du hast diese Gabe bei Einsatz deines Lebens gewonnen. Du hattest einen guten Anfang gemacht, indem du auf Arilinn dientest. Das wenige, was von unserer alten Wissenschaft übriggeblieben ist, wird dort bis zu dem Tag aufbewahrt, an dem man es vollständig entdeckt oder wiederentdeckt. Glaubst du, ich weiß nicht, daß ihr jungen Leute euer Privatleben aufgebt und viele Dinge, die ein junger Mann oder eine junge Frau gern hat? Ich hatte niemals diese Wahl, Lew. Ich wurde mit einem winzigen Restchen Laran geboren. Daher tue ich, was ich kann, mit den säkularen Kräften, um die Bürde für euch andere zu erleichtern, an der ihr schwer zu tragen habt. So weit ich weiß, hast du deine Kräfte niemals mißbraucht. Und du gehörst auch nicht zu jenen frivolen jungen Leuten, die ihre Privilegien von Rang ausnutzen und ein Leben in Vergnügungen und Lust verbringen wollen. Warum weichst du also vor deiner Pflicht gegenüber deinem Clan zurück?«
Ich wünschte mir plötzlich, ich könnte meine Ängste und mein Mißtrauen ihm gegenüber abschütteln. An der persönlichen Integrität des Alten war nicht zu zweifeln. Doch war er so vollständig in seinem einsamen Kampf um politische Ziele Darkovers verstrickt, daß ich ihm dennoch mißtraute. Ich wollte mich nicht von ihm manipulieren lassen, wollte nicht jenen Zielen dienen. Ich fühlte mich verwirrt, halb überzeugt, halb ablehnend wie zuvor. Ich wich davor zurück. Telepathen gewöhnen sich daran, sich mit Dingen konfrontiert zu sehen – man muß es, um einigermaßen bei Verstand zu bleiben –, aber man lernt nicht, wie man diese Dinge auch leicht in Worte kleidet. An einem Ort wie Arilinn gewöhnt man sich daran, daß jeder in einem solchen Kreis alle Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse der anderen kennt. Es gibt dort keine Zurückhaltung, nichts von Ausweichmöglichkeiten und Höflichkeiten, die Außenseiter in Gesprächen über intimere Dinge einsetzen. Aber Hastur konnte meine Gedanken nicht lesen, und ich rang um Worte, die keinen von uns beiden in Verlegenheit versetzen würden.
»Hauptsächlich deshalb, weil ich noch keine Frau getroffen habe, mit der ich mein Leben verbringen möchte … und weil ich Telepath bin … will ich auch nicht … mich auf die Wahl eines anderen verlassen.« Nein, ich war nicht vollständig aufrichtig. Auf Linnea hätte ich mich gern einlassen können, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß man mich manipulierte und als hilfloses Pfand einsetzte. Wieder glimmte meine Wut auf. »Hastur, wenn ich einfach aus dem Grund heiraten soll, um eine Gabe zu vererben, um einen Sohn für die Domäne zu zeugen, hättet Ihr mich verheiraten sollen, bevor ich erwachsen wurde, bevor ich alt genug war, Gefühle für Frauen zu entwickeln, und sie einfach hätte haben wollen, weil sie eine Frau war und zur Verfügung stand. Jetzt ist das anders.« Ich verstummte.
Wie konnte ich Hastur sagen, der alt genug war, mein Großvater zu sein und kein Telepath, daß, wenn ich eine Frau nähme, all ihre Gedanken und Gefühle offen vor mir lägen und auch meine für sie, daß es mich rasch impotent machen würde, wenn wir nicht vollständig aufeinander eingestellt wären. Nur wenige Frauen konnten das aushalten. Und wie konnte ich ihm das lähmende Gefühl des Versagens mitteilen, wenn diese Sympathie fehlte? Glaubte er wirklich, ich könnte mit einer Frau zusammenleben, deren einziges Interesse an mir darin bestünde, daß ich mit ihr einen Sohn mit Laran zeugte? Ich kenne ein paar Männer in der Comyn-Sippe, denen dies gelingt. Ich glaube, daß zwei Menschen mit gesunden Körpern sich im Bett fast immer irgend etwas geben können. Aber nicht im Turm ausgebildete Telepathen, die an diese völlige Offenheit gewöhnt sind … Ich sagte, und meine Stimme zitterte unkontrollierbar dabei: »Selbst einem Gott kann man nicht zumuten, auf Befehl zu lieben.«
Hastur blickte
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