Hasturs Erbe
das Fleisch, das sicherlich einen Teil der Faszination ausmacht.
Daß daraus mehr wird als eine Kette von Abenteuerschmökern, angesiedelt irgendwo auf der Grenze zwischen Science-fiction und Fantasy, dürfte hingegen an der stets wiederkehrenden Struktur der einzelnen Bände liegen. Die Autorin arbeitet hier an einem einzigen Thema, das sie in immer neuen Facetten ausbreitet, ohne es letztendlich abschließend zu behandeln. Gemeint ist eine strukturell durchgreifende Polarisierung, die jeden der Romane prägt. Linda Leith hat in einem interessanten Artikel in der Universitätszeitschrift Science-fiction-Studios die wichtigsten dieser konträren Elemente aufgeführt: Terra steht gegen Darkover, Ratio gegen Intuition, Technologie gegen Instinkt, Establishment gegen Counter-Establishment, Alter gegen Jugend, Heterosexualität gegen Homosexualität, Mann gegen Frau, Künstlichkeit gegen Natur, Bürgertum gegen Feudalismus.
Der übergreifende Gegensatz ist dabei in den meisten Romanen natürlich der Konflikt zwischen der irdischen Technologie und der natürlichen, auf der Beherrschung des Geistes beruhenden Kultur Darkovers, aber die anderen Gegensatzpaare präzisieren jeweils den Hauptgegensatz. Die Autorin bewahrt dabei eine erstaunliche Ambivalenz, das heißt, sie ergreift nicht abschließend Partei für die eine oder andere Seite, kann sich wohl auch nicht so oder so entscheiden, ist hier vielleicht Gefangene der von ihr selbst erfundenen Struktur. Mehr noch: Darkovers Konflikte sind zu einem guten Teil auch die Konflikte der amerikanischen Gesellschaft, durch eine entfremdende Brille betrachtet, und der Grundkonflikt spiegelt die Ratlosigkeit wider, die nicht nur Marion Zimmer Bradley angesichts einer Entwicklung empfindet, die mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik verknüpfte Heilserwartungen fragwürdig werden ließ.
Irgendwo im Hintergrund steht die Hoffnung, daß die positiven Seiten beider Systeme sich zu einem neuen, harmonischen Ganzen verschmelzen könnten und daß dieser Prozeß ohne Explosionen vonstatten gehen möge. So ist dann zu erklären, daß im vorliegenden Roman Regis und sogar Danilo wieder in die Reihen der Comyn zurückkehren und den Weg einer Reform des Systems von innen her zu gehen versuchen. Und wenn sogar Dyan sich zu einer tiefgreifenden Wandlung fähig zeigt, dann gibt Marion Zimmer Bradley ihrem Streben nach Harmonie Ausdruck (und zugleich der Anschauung, daß Menschen Produkte ihrer Umwelt sind).
Mag man das Zurückstecken der jungen Rebellen in Erinnerung an ihren begründeten Zorn auf die Ungerechtigkeit des feudalistischen Systems als resignativ empfinden, so gilt dies allein für das gesellschaftliche Umfeld. Marion Zimmer Bradleys größere Romane sind Entwicklungsromane, in denen Menschen heranreifen und zu sich selbst finden. Hier findet die eigentliche Befreiung statt, und hier wurde der Autorin die verdiente Aufmerksamkeit auch der Kritik zuteil. Ganz unsensationell, jahrelang fast unbemerkt, ist Marion Zimmer Bradley im epischen Science-Fantasy-Abenteuerroman einen Weg gegangen, der Bewunderung verdient. Dabei ranken sich viele der besten Darkover-Romane um weibliche Protagonisten, ein vor Jahren in der Science Fiction noch sehr ungewohntes Bild, und der Zyklus insgesamt propagiert die Gleichwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann. Hasturs Erbe (The Heritage of Hastur) allerdings ist hierfür eher untypisch, obwohl auch hier eindringliche weibliche Charaktere Eingang gefunden haben. Statt dessen befaßt sich Marion Zimmer Bradley mit homoerotischen Beziehungen zwischen männlichen Jugendlichen und wirbt um Verständnis dafür, derartige Neigungen zu akzeptieren. Und wenn Regis das doppeldeutige Erbe des Romantitels antritt, dann betrifft es durchaus nicht nur den Sitz im Rat der Comyn, sondern auch das Bekenntnis zu einer Neigung, die er verzweifelt zu bekämpfen und verdrängen suchte.
Ist die fesselnde Entwicklung des jungen Regis Hastur ein starker Posten auf der Habenseite dieses Romans, so steht ihm die nicht minder eindringliche Tragödie um Lew Alton und Marjorie, die von der Autorin mit großem Einfühlungsvermögen gestaltet und ihrem traurigen Ende zugeführt wird, in keiner Weise nach.
Dies alles – der Gegensatz zweier Kulturen, das Heranreifen mehrerer Menschen, eine große, romantische, tragische Liebesgeschichte – ist verwoben zu einem Epos, dessen Dramatik man sich wohl nur schwer entziehen kann. Und natürlich gehört dieser Roman, fast
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