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Hauch der Verdammnis

Hauch der Verdammnis

Titel: Hauch der Verdammnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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und genoß die kühle, eukalyptusgetränkte Luft. Am westlichen Himmel ging die Sonne unter, die Vögel zwitscherten, und wohin sie auch blickte, leuchteten die üppig wachsenden tropischen Pflanzen in einer ganzen Palette von Farben.
    Sie wandte sich Michael zu, der gerade aus dem Haus kam, eine Broschüre in der Hand. »Nun, was sagst du?« fragte sie.
    Michael sah in die Ferne, und sie spürte, wie er sich förmlich dagegen wehrte, die Schönheit der Aussicht zu genießen. Schließlich musste er aufgeben. »Na ja, vielleicht hatte ich unrecht«, räumte er ein. »Vielleicht ist es doch nicht der schrecklichste Ort der Welt, okay?«
    »Du hasst deine alte Mutter also nicht?«
    »Ich hasse dich bestimmt nicht«, antwortete Michael. Er musste lächeln, weil sie so übertrieben erleichtert wirkte. »Und du bist nicht alt, okay? Und wenn du wirklich willst, dass ich das Handtuch werfe und zugebe, dass du mit allem recht hattest, dann ...« Er ließ den Satz unbeendet, während er ihr die Broschüre reichte. »Kann ich mich da anmelden?« fragte er. »Bitte.« In seiner Stimme schwang Hoffnung mit, aber auch die Erwartung, die alte Antwort zu hören.
    Katharine nahm die Broschüre. Noch bevor sie einen Blick darauf geworfen hatte, wusste sie, dass es sich um Werbung für einen Tauchkurs handelte. Zuerst wollte sie schlichtweg nein sagen, aber noch ehe sie den Mund aufmachen konnte, tauchte Rob hinter Michael in der Tür auf.
    »Es ist wirklich völlig ungefährlich«, sagte er. »Hunderte von Touristen machen das jeden Tag, von kleinen Kindern bis zu Leuten in den Achtzigern.«
    Katharine blickte auf und sah Rob kurz in die Augen, bevor sie sich Michael zuwandte. Erinnerungen durchfluteten ihren Kopf, alptraumartige Erinnerungen daran, wie ihr Sohn mitten in der Nacht nach Luft schnappend aufgewacht war, kaum in der Lage zu atmen. Was, wenn er hundert Meter unter Wasser einen Anfall bekam? Was würde er dann tun? Wenn ihm irgend etwas zustoßen würde ...
    Es schien, als habe Michael ihre Gedanken gelesen.
    »Ich werde nicht ertrinken, Mom. Und ich werde auch keinen Asthmaanfall bekommen, ich schwöre es.«
    Noch zögerte Katharine, doch dann erinnerte sich an etwas anderes. Auch Michaels Vater war ins Tauchen vernarrt gewesen, lange bevor Michael geboren wurde. Tom Sundquist war ein begeisterter Surfer, Skifahrer und Drachenflieger gewesen, er betrieb sämtliche Sportarten, die Katharine zu Tode ängstigten. Und wenn er jetzt hier wäre, sie wüßte genau, was er sagen würde. Sie holte tief Luft und sprach die Worte, die Tom nicht mehr sprechen konnte: »Also los. Man lebt schließlich nur einmal, stimmt's?«
    Michael stieß einen Freudenschrei aus, umarmte sie so heftig, als ob er sie zerquetschen wollte, und verschwand im Haus, wahrscheinlich, um schnell das Anmeldeformular auszufüllen.
    Rob streckte entschuldigend die Arme aus. »Vielleicht hätte ich die Broschüre nicht mitbringen sollen ...«, setzte er an, aber Katharine schüttelte den Kopf.
    »Ich bin froh, dass du es getan hast, Rob. Dieser Umzug hat ihm gar nicht gefallen. Vielleicht wird es dadurch leichter.«
    »Ich weiß, was er durchmacht«, sagte Rob. »Wie alt ist er jetzt, fünfzehn, sechzehn?«
    »Sechzehn.«
    »Schwere Zeiten für einen Jungen. Als ich ungefähr in seinem Alter war, lernte meine Mutter meinen ...« Er unterbrach sich, und nach ein paar Sekunden wechselte er abrupt das Thema. »Na ja, aber einem Jungen in dem Alter muss man eben auch manches durchgehen lassen. Ein Teil von ihm will immer Neues kennenlernen, aber ein anderer Teil mag es gar nicht, wenn sich Dinge ändern.«
    Mittlerweile beendete Katharine im stillen den Satz, den Rob abgebrochen hatte: ... lernte meine Mutter meinen Stiefvater kennen, hatte er sagen wollen. Während die Sonne am Horizont unterging, stand sie auf der Veranda und sah ihn an.
    Rob suchte ihren Blick.
    Keiner von ihnen sagte etwas.
    Es war auch nicht nötig.
     
    Als Katharine aus einem unruhigen Schlaf erwachte, war es fast zwei Uhr nachts. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie war, aber dann hörte sie, dass die Straßengeräusche New Yorks von leisem Insektenzirpen abgelöst worden waren, und stellte fest, dass sie statt stickiger Zimmerluft einen sanften tropischen Hauch einatmete. Ihr fiel ein, wo sie war. Sie stieg aus dem Bett und hüllte sich in einen dicken Frotteebademantel. Wegen der Höhe waren die Nächte hier empfindlich kühl. Als sie auf die Veranda trat, sah sie, dass auch

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