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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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vorgekommen? Hat er den Eindruck erweckt, dass er viel über Sie wusste? Hat er gesagt, ob er etwas suchte oder auf Sie persönlich gewartet hatte?“
    Sie wurde immer unsicherer, je länger er sie mit Fragen bedrängte. „Nein. Er hat nichts dergleichen gesagt. Er hat sich ein paarmal entschuldigt. Eigentlich habe ich ihm das nicht abgenommen, zumal er ja versucht hat, mich umzubringen.“ Sie hörte die zunehmende Hysterie in ihrem Tonfall und biss sich auf die Lippe.
    Hör auf. Hör auf. Hör auf. Reiß dich zusammen, Natalie.
    „Schon gut. Mir ist klar, dass es schwer für Sie ist, Ms Jones.“ Sie hörte etwas wie ein Wischgeräusch. Sie nahm an, dass er sichmit der Hand übers Haar fuhr. Welche Farbe mochte es haben? Wie fühlte es sich an? Wieso glaubte sie, dass es nicht kurz und strohig war wie das ihres Angreifers, sondern dicht, und dass es eine beruhigende Wirkung auf sie haben würde? Sie faltete die Hände, um sie nicht unwillkürlich nach ihm auszustrecken.
    „Wir haben bereits festgestellt, dass Sie es aus eigener Kraft zu Berühmtheit gebracht haben, aber Sie haben kürzlich eine Auszeit von Ihrem Beruf genommen. Weil Sie blind geworden sind?“
    Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte sie. Sofort erwachte ihr Misstrauen. „Wieso ist das wichtig?“, stieß sie spontan hervor. Dann, als ihr bewusst wurde, wie defensiv sie sich in ihren eigenen Ohren anhörte, hob sie eine Hand. „Egal. Ich will keine Schwierigkeiten machen, ehrlich nicht. Geben Sie mir ein paar Sekunden Zeit.“
    Agent McKenzie wartete, ungeduldig, wie der verspannte Umriss seines Körpers vermuten ließ.
    Sie suchte nach einer Möglichkeit, ihm klarzumachen, dass sie nicht so leicht aufgab. Dass es sie, obwohl sie es hatte kommen sehen, doch kalt erwischt hatte. „Mit siebzehn habe ich erfahren, dass ich mit fünfzigprozentiger Sicherheit an der gleichen Netzhautdegeneration leide wie meine Mutter. Dass ich höchstwahrscheinlich blind sein würde, bevor ich das dreißigste Lebensjahr erreichte. Es könnte ganz plötzlich passieren. Jederzeit. Oder die Krankheit könnte schleichend fortschreiten und ihren Höhepunkt erst erreichen, wenn ich sechzig wäre, so wurde es mir erklärt. Bei mir setzte sie vor fast zwei Monaten ein. Anfangs ging es langsam, dann immer schneller. Mit jedem Tag verringerte sich meine Sehkraft. Selbst da dachte ich noch, mir bliebe etwas Zeit, um mich darauf vorzubereiten, um …“ Um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie bald nicht mehr fähig sein würde, ihren geliebten Beruf auszuüben.
    Selbst das Wort „geliebt“ war noch eine zu schwache Beschreibung für die Einstellung zu ihrem Beruf. Er füllte sie aus und verlieh ihr die Kraft, die andere Menschen aus Koffein oder Alkohol oder auch Drogen gewannen. Ohne ihren Beruflitt sie immer an Entzugserscheinungen. „Doch eines Tages war sie erloschen. Zum Glück wurde es ein paar Tage später wieder etwas besser. Aber nicht viel. Ich sehe immer noch kaum etwas. Aber etwas …“
    Sie fasste sich mit der zitternden Hand an die Stirn. Warum erzählte sie ihm das? Warum, wenn es doch egal war? Wichtig war nur, dass sie ihn seine Arbeit tun ließ und dann wieder den prekären Frieden fand, der ihr noch geblieben war. „Ich … Mir ist nicht gut. Falls Sie noch weitere Fragen an mich haben, stellen Sie sie jetzt, aber dann möchte ich wirklich, dass Sie … dass Sie beide gehen. Bitte.“
    Dieses Mal antwortete nicht Agent McKenzie, sondern dieser Jase Tyler. „Entschuldigen Sie die Störung, Ma’am.“ In seinem Tonfall schwang deutlich das Mitleid mit, das sie so verzweifelt vermeiden wollte. „Noch Fragen, Mac?“
    Die Frage des Mannes enthielt eine gehörige Portion Sarkasmus. Natalie wartete. Ihre Schultern wirkten verkrampft, allerdings hatte sie immer noch stolz das Kinn vorgereckt.
    „Sie leben allein hier?“
    „Ja.“
    „Werden Sie jemanden bitten, Ihnen Gesellschaft zu leisten?“
    „Warum sollte ich? Ich dachte, Verbrecher kommen nur selten an den Ort des Geschehens zurück.“
    „Selten vielleicht, dennoch ist es nicht ausgeschlossen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie zumindest ein bisschen Angst haben. Haben Sie Angst?“
    Natürlich hatte sie Angst, wollte es jedoch nicht zeigen. „Würden Sie mir diese Frage auch stellen, wenn ich nicht blind wäre?“
    Sein Zögern war Antwort genug, und es überraschte sie nicht.
    „Wir legen unsere Karten mit den Handynummern auf den Esstisch, für den Fall, dass Sie uns

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