Hauchnah
Konjunktur auf demImmobilienmarkt Plainville genauso schwer getroffen wie die meisten Städte in den Staaten. Nachdem er die Frau am Vortag nicht hatte überwältigen können, hatte er ihrer Wohnung gegenüber ein Haus gefunden, das zwangsversteigert werden sollte. Die Besitzer hatten das Grundstück verlassen, und wenn das Haus von außen auch ganz ansehnlich wirkte, war es von innen doch völlig verwahrlost.
In der Spüle stand noch schmutziges Geschirr. Die Teppiche waren fleckig. Überall lag Müll herum. Es war abscheulich, wie manche Leute lebten oder zumindest, falls sie gut gelebt hatten, wie sie eine Wohnung hinterließen. Sogar im Gefängnis hatte Alex seine Zelle immer sauber gehalten. Anständig. Und so hatte er sie am Tag seiner Entlassung auch hinterlassen. Keine Herabwürdigung der Wärter durch fäkalienbeschmierte Wände oder vollgepisste Laken. Auch wenn er nicht fürchtete, seine Entlassung dadurch hinauszuzögern, war er doch zu stolz dazu. Zu hoffnungsvoll. Er war kein Tier. Nicht mehr. Nicht seitdem er sein Leben Ihm in die Hände gegeben hatte.
Alex betrachtete den Zettel, auf dem er vor Tagen Seinen Auftrag notiert hatte.
Natalie Jones.
Der Name schien Höllenflammen auf ihn abzuschießen.
Er sollte nur Kopien von den Fotos besorgen, die sie damals auf dem Bauernmarkt aufgenommen hatte. Sich vergewissern, dass auf keinem von ihnen Lindsay zu sehen war und der Mann, der neben ihr lief. Aus der Fotoserie, die er kopiert hatte, ging jedoch eindeutig hervor, dass sie den beiden gefolgt war, ihnen näher gekommen war und sie womöglich tatsächlich fotografiert hatte. Vielleicht erinnerte sie sich sogar an die beiden. Falls ihr die richtigen Fragen gestellt worden waren, hatte sie der Polizei vielleicht längst alles geschildert oder ihnen eines der Fotos gezeigt, die er nicht mehr hatte kopieren können.
Aber das wusste er nicht. Er kannte sie nicht und hatte keine Ahnung, was sie wusste. Auch nicht, was die Polizei wusste. Er musste es herausfinden.
Und außerdem … weckte sie seine Neugier. Die Frau, der es gelungen war, ihn abzuwehren, was so viele vor ihr nicht geschafft hatten.
Ihre Wohnung war nicht so, wie er es von einer Künstlerin erwartet hätte. Er hatte gedacht, ihre Einrichtung würde mehr … na ja, eben mehr sein. Die Wände waren reinweiß, nicht bunt. Und zudem weitgehend leer, nicht mit ihren vergrößerten Fotos in handgefertigten Rahmen aus Holz oder elegantem Metall bestückt.
So hätte er dekoriert, wenn es sein Haus gewesen wäre.
Er hätte es als Vorzeigeprojekt für seine Begabung eingerichtet. Die ganze Welt wäre gezwungen gewesen, seine innere Schönheit wahrzunehmen. Die Schönheit, die offenbar niemand sah. Doch er hatte nie den Luxus einer so stattlichen Wohnung erfahren, und er hatte schon seit Langem akzeptiert, dass sein Wert für andere Menschen nicht in seiner inneren Schönheit oder seinen tiefsten Sehnsüchten bestand, sondern darin, was er für sie zu tun bereit war. Selbst sein Bruder Clemmons hatte das bestätigt.
Alex war bei seinem Vater in einer Sozialbausiedlung in Los Angeles aufgewachsen. Hatte frühzeitig Zugang zur Bandenszene gefunden. Die zerlumpten, hohläugigen Jugendlichen wurden zu seiner Familie, doch das hatte stets seinen Preis. Er wurde erst aufgenommen, nachdem er Gruppenkeile eingesteckt hatte. Wurde nur gelobt, wenn er andere besiegte. Diebstahl und Vergewaltigung und die Vergiftung seines Körpers mit Chemikalien wurden zum Standardverfahren, um seine Loyalität zu beweisen und Anerkennung zu finden. Er verteidigte die anderen, und die anderen verteidigten ihn auf die einzige Weise, die sie kannten. Mit brutaler Gewalt. Der Skrupelloseste unter ihnen beherrschte die Straßen und überlebte.
Paradoxerweise lernte er erst im Gefängnis, dass es einen anderen Weg gab. Erst als er eingesperrt war, erzählte ihm sein Vater von seinem Bruder, den seine Mutter mitgenommen hatte, während sie Alex anscheinend ohne Zögern oder Bedauern zurückließ.Das hatte ihn mehr als alles andere gequält. Er fühlte sich von seiner Mutter, die lange tot war, zurückgesetzt, doch er klammerte sich an die Hoffnung, nach seiner Entlassung endlich eine richtige Familie zu haben. Deshalb bereitete er sich vor.
Er hatte gelernt. Lernte lesen, obwohl sie ihm als Übungsmaterial zunächst nur eine Bibel gaben, die von Gott und Seinem Sohn handelte. Alex hatte nie an Gott geglaubt. Doch schon nach kurzer Zeit begann er zu glauben, und sein Glaube
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