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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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setzte in vielerlei Hinsicht eine vollkommene Zurückgezogenheit voraus. Erst einmal. In Bonnies Augen war die Welt ein traumatisierender Ort für jemanden, der sich noch auf eine Behinderung einstellen musste. Es wäre viel besser, sich monate-, wenn nicht jahrelang zurückzuziehen, bis man sich in jedem Aspekt seines häuslichen Lebens sicher fühlte. Erst dann sollte man sich nach draußen wagen.
    Natalie hatte Bonnie deshalb erst gar nicht über ihre Pläne für diesen Tag informiert. Sie würde doch nur versuchen, ihr das Vorhaben wieder auszureden. Nein, trotz ihrer früheren Ängste freute sie sich tatsächlich darauf, sich aus ihrem Haus und Garten herauszutrauen. Hoch erhobenen Hauptes an einer Schar Polizisten vorbeizugehen. Agent McKenzie gegenüberzutreten, ihm zu beweisen, dass sie mehr war als die zickige, abweisende Frau, die er vor einigen Tagen kennengelernt hatte. Sie war tüchtig. Unabhängig. Stark.
    Als sie jetzt auf dem Gehsteig stand und auf Melissa wartete, fühlte sie sich jedoch ziemlich unwohl. Ganz gleich, wie ungerecht sie möglicherweise war, heute erschien ihr das Nichtauftauchen ihrer Freundin als weiterer Verrat.
    Sie lebte in einer idyllischen Wohngegend, die jedoch durch eine stark befahrene Hauptstraße und reichlich Fußgängerverkehr zerrissen wurde. Ständig nahmen Leute den Umweg an ihrem Haus vorbei, um zu der kleinen Bäckerei am Ende des Straßenzugs zu gelangen. Früher einmal hatte sie den morgendlichen Frieden und die abendliche Betriebsamkeit genossen. Da sie so viel auf Reisen war, kannte sie ihre Nachbarn kaum. Es wunderte sie nicht, dass niemand sie jetzt ansprach. Trotzdem verspannte sie sich jedes Mal, wenn sie Stimmen näher kommen hörte. Das lag zum Teil an ihrer alten Befangenheit, der unguten Ahnung, wie die Menschen auf ihren Blindenstock reagieren würden, zum Teil aber auch an ihrem eigenen Unbehagen. Es war schwer, sich sicher zu fühlen, wenn jemand, irgendwer, einen überrumpeln konnte, bevor man sein Kommen ahnte.
    Was natürlich albern war. Es war heller Tag, und außer einem bestimmten Mann wollte ihr niemand etwas Böses. Und dieser Mann würde sie wohl kaum vor aller Augen angreifen.
    Seufzend tastete sie über die Zeiger ihrer Uhr, stellte fest, dass es fünf vor zwölf war, und begab sich langsam zurück zum Haus, obwohl sie ihr Handy bei sich hatte. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, und sie trank in der Küche ein Glas Eistee – sowohl um Zeit totzuschlagen als auch um ihren Durst zu stillen -, dann zwang sie sich, Agent McKenzie anzurufen.
    Er meldete sich beim ersten Klingeln mit gereizter Stimme. „McKenzie.“
    Idiotisch, dass ihr Puls sich sogleich beschleunigte, sowie sie an seine Berührung dachte. An seinen Duft. An das Mitgefühl in seiner Stimme, als er sie nach Halsschmerzen fragte und ihr riet, Tee mit Zitrone zu trinken. Er wirkte so … so lieb.
    Dumme Kuh. Trotz ihrer Blindheit war es doch offensichtlich, dass Liam McKenzie ungefähr so lieb wie harmlos für sie war. Und er war gefährlicher als jeder andere Mann, den sie kennengelernt hatte. Nie zuvor hatte sie eine so schiere sexuelle Anziehungskraft erlebt wie bei ihm. Und nie zuvor hatte sie größere Angst davor gehabt.
    Sein Partner war entschieden weniger bedrohlich für ihren Seelenfrieden. Sein Duft war ihr in keiner Weise aufgefallen. Trotz allem musste sie beinahe lächeln bei der Vorstellung, wie der Mann am Telefon diese Überlegung auslegen würde.
    Sie räusperte sich. „Hm, hallo. Hier ist Natalie Jones.“
    „Ja?“ Seine Stimme wurde nicht weicher, eher noch rauer. Tiefer.
    „Meine Fahrgelegenheit verspätet sich offenbar. Ich kann nicht genau sagen, wann ich ankomme, doch es müsste innerhalb der nächsten Stunde klappen. Tut mir leid, aber … tja, ich will Sie nicht aufhalten. Oder können wir den Termin verschieben?“ Diesen Vorschlag sprach sie in letzter Sekunde aus und wartete halb ängstlich, halb erwartungsvoll auf seine Zustimmung, wohl wissend, dass es albern wäre, einen neuen Terminzu vereinbaren, wenn er doch extra aus San Francisco hergekommen war.
    Er stieß den Atem aus. „Ich bin bereits hier. Ich warte auf Sie.“ Im letzten Moment klangen seine Worte sanfter, als versuchte er bewusst, seine Ruppigkeit zu unterdrücken. Wieder freundlicher zu ihr zu sein. Sanfter.
    Vielleicht hatte er doch etwas Liebes an sich. Allein dieser Gedanke löste die Angst, die sich durch Melissas Verspäten aufgebaut hatte. „Entschuldigen Sie,

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