Hauchnah
zwei Dinge vergessen.“
„Was denn?“
„Zunächst einmal das hier.“ Sie reckte sich und gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss. Dann löste sie sich von ihm, nahm etwas vom Bett und reichte es ihm. „Und das hier.“
Es war sein Lieblingscowboyhut. Der, den sie ihm zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte. Cremefarben mit einem aufgestickten goldenen Kreuz auf der Vorderseite.
11. KAPITEL
M elissa verspätete sich.
Sie hatten abgesprochen, sich um halb zwölf Uhr vormittags zu treffen, und jetzt war es bereits Viertel nach. Wo blieb sie? Und warum war sie nicht per Handy zu erreichen?
Natalie seufzte verärgert, zupfte an ihrer Kleidung, richtete den Kragen und strich mit schweißfeuchten Händen ihren Rock glatt. Nach ihrem gestrigen Telefonat mit Mac hatte sie sich wieder an den Fotos zu schaffen gemacht, um irgendetwas darauf erkennen zu können. Sie hatte sie in Schwarz-Weiß-Fotos umgewandelt, mit Photoshop die Umrisse verdunkelt und sie auf dem Vergrößerungsschirm herangezoomt. Es hatte nichts genützt. Das Einzige, was sie sah, waren schwarze und graue Flecke, und nur gelegentlich kristallisierte sich eine Gestalt heraus. Die dritte Nacht in Folge war sie frustriert ins Bett gegangen. Agent McKenzies Worte hallten in ihrem Kopf nach.
Ich habe die Nase voll von liebebedürftigen Frauen.
Ihre Internetrecherche zu seiner Person hatte nichts über sein Privatleben hergegeben, deshalb wusste sie nicht sicher, welche Frau er gemeint hatte. Vermutlich eine Freundin. Vielleicht sogar eine Ehefrau. Allein der Gedanke an derartige Möglichkeiten verstärkte ihr schlechtes Gewissen wegen ihres Interesses an ihm. Eine Frau, die dieses hartgesottenen, charismatischen Detectives würdig war, musste stark und sexy sein. Fähig zu einem selbstständigen Leben, auch wenn sie es nicht führte. Alles das, was sie selbst nicht mehr war.
Und doch hatte ihre Recherche paradoxerweise ihr Interesse an Mac verstärkt, hatte ihr Einblick gewährt in die Persönlichkeit dieses Mannes, dessen verschwommener Umriss gereicht hatte, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Er war eindeutig ein begabter und hochgeachteter Polizist. Die Website des Justizministeriums beschrieb ihre Eliteeinheit SIG als „das Beste vom Besten“ in Sachen Gesetzesvollzug. Ausbildung und Erfahrungder Agenten kamen der vieler FBI-Agenten gleich. Agent McKenzie leitete die Einheit, und seiner Biografie gemäß war er schon fünfzehn Jahre vorher in seiner Eigenschaft als Inspektor der Mordkommission ausgezeichnet worden.
Er opferte so viel von seinem Leben, um anderen zu helfen. Das sprach Bände über seinen Charakter und beflügelte ihren Wunsch, ihm zu helfen.
Auch nachdem sie es aufgegeben hatte, in den Fotos vom Bauernmarkt nach Hinweisen zu suchen, fand sie schwerer in den Schlaf als gewöhnlich. Eine Stunde lang hatte sie versucht, sich an Einzelheiten jenes Tages zu erinnern, doch es waren bedauerlich wenige und kaum den Einbruch in ihr Haus wert. Schließlich war sie zu erschöpft gewesen, um noch weiter nachzudenken, und ging schlafen, aber nicht, ohne vorher noch ihr Outfit für den Tag zusammenzustellen, wozu sie etwa fünf Anläufe benötigte.
Als ihre Sehkraft nachzulassen begann, hatte sie eine Einkaufsberaterin bezahlt, nicht nur für den Kauf von Kleidung, sondern auch für deren Anordnung nach Farben. Zudem besaß sie einen elektronischen Farbdetektor und benutzte ihn, bevor sie das Haus verließ – sicherheitshalber. Sie achtete auf schlichte Garderobe, hatte aber zahlreiche Teile mehrfach. Selbst zu Hause zog sie sich nach dem Essen immer um. Immer. Die Vorstellung von Flecken auf der Bluse war ihr unerträglich. Wenigstens äußerlich wollte sie dieselbe bleiben, auch wenn sie es innerlich nie wieder sein würde.
Bonnie, die Mobilitätstrainerin, die einmal pro Woche mit ihr an Strategien zur Bewältigung des Alltags arbeitete, teilte diese Ansicht nicht mit Natalie. Bonnie hatte ihr die Einkaufsberaterin und die Umgestaltung ihres Haushalts empfohlen, sie hatte ihr einen Lehrer für Blindenschrift besorgt, und sie bestärkte Natalie unablässig darin, dass sie derselbe Mensch wie immer sei. „Klar, dein Leben hat sich verändert, aber ob du es glaubst oder nicht, du kannst immer noch aus Flugzeugen springen, Natalie. Viele Blinde praktizieren Tandem-Fallschirmspringen. Damit kannst du anfangen. Irgendwann.“
Irgendwann. Genau da lag das Problem. Dieses erfüllte Leben, das Bonnie für die Zukunft prophezeite,
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